Amber-Zyklus 07 - Das Blut von Amber: der Titel
wichtigere Dinge, über die ich nachdenken mußte, sobald unsere Handgriffe zur Routine geworden waren und ich eine Weile Zeit hatte, über das dunkle Wasser zu blicken und eine flüchtige Rückschau anzustellen.
Ich war mit den allgemeinen Tatsachen ihres Lebens vertraut, und ich war ihr mehrmals bei gesellschaftlichen Anlässen begegnet. Sie wußte, daß ich als Corwins Sohn in den Burgen des Chaos aufgewachsen war und damit zur Hälfte jener Familie angehörte, die seit Urzeiten mit der von Amber verbunden war. Im Laufe der Unterhaltung anläßlich unserer letzten Begegnung war ich von ihrem Wissen darüber in Kenntnis gesetzt worden, daß ich mich mehrere Jahre lang in einem anderen Schatten aufgehalten, mich dort akklimatisiert und versucht hatte, so etwas wie Bildung zu erwerben. Vermutlich hatte Onkel Caine sie nicht in Unkenntnis über Familienangelegenheiten lassen wollen - was mich zu der Überlegung veranlaßte, wie tief ihre Beziehung wohl gegangen sein mochte. Ich hatte gehört, daß sie mehrere Jahre lang zusammengelebt hatten. Deshalb fragte ich mich, wieviel sie wirklich über mich wissen mochte. Ich fühlte mich bei ihr verhältnismäßig sicher, doch ich mußte entscheiden, wieviel ich ihr im Austausch gegen die Informationen preisgeben wollte, die sie offenbar hinsichtlich der Leute besaß, die es hier auf mich abgesehen hatten. Dabei hatte ich das Gefühl, daß es wahrscheinlich zu einem Kompromiß kommen würde. Außer daß sie einem Mitglied der Familie einen Gefallen tun wollte, was ihr gerade gelegen kam, hatte sie bestimmt keinen Grund, sich für mich persönlich zu interessieren. Ihre Beweggründe bei der ganzen Angelegenheit beruhten vermutlich in erster Linie auf dem Wunsch nach Rache für den Mord an Caine, soweit ich das erkennen konnte. Unter diesem Gesichtspunkt war ich bereit zu einem Handel. Es war immer gut, Verbündete zu haben. Doch ich mußte entscheiden, wieviel von dem großen Gesamtbild ich ihr zugänglich machen wollte. Wollte ich, daß sie in dem ganzen Komplex der Ereignisse herumwühlte, die mich umgaben? Daran hatte ich meine Zweifel, wobei ich überlegte, wieviel davon sie wohl durch Fragen aus mir herauszubekommen versuchte. Höchstwahrscheinlich wollte sie nur bei dem Vergeltungsschlag dabei sein, wie immer dieser aussehen mochte. Als ich zu ihr hinübersah und die vom Mondlicht hervorgehobenen Flächen ihres kantigen Gesichts betrachtete, war es nicht schwer, die Maske einer Rachegöttin über diese Züge zu legen.
Eine beträchtliche Strecke von der Küste entfernt, auf der Meeresbrise nach Osten segelnd, vorbei an dem großen Felsmassiv des Kolvir, mit den Lichtern von Amber wie Juwelen im Haar, wurde ich wieder von dem Gefühl der Zuneigung ergriffen, wie schon zuvor. Obwohl ich in der Dunkelheit und der exotischen Beleuchtung zwischen den nichteuklidschen Paradoxa der Burgen aufgewachsen war, wo sich Schönheit eher aus übernatürlichen Elementen zusammensetzte, fühlte ich mich mit jedem Besuch in dieser Welt immer mehr zu Amber hingezogen, bis mir schließlich bewußt wurde, daß eben diese Welt ein Teil von mir war, bis auch sie für mich Heimat bedeutete. Ich wollte nicht, daß Luke ihre Hänge mit Gewehrschützen erstürmte oder Dalt wilde Raubzüge in ihrer Nachbarschaft unternahm. Ich wußte, daß ich bereit war, gegen diese Feinde zu kämpfen, um diese Heimat zu schützen.
Weit hinter uns am Strand, nahe der Stelle, wo Caine zur letzten Ruhe gebettet worden war, glaubte ich das Aufblitzen von etwas hüpfendem Weißen zu sehen, das sich zuerst langsam, dann schnell bewegte und schließlich in einer Spalte im Hang verschwand. Ich war der Meinung, daß es ein Einhorn war, doch aufgrund der Entfernung, der Dunkelheit und der Schnelligkeit, mit der es sich bewegte, war ich mir nicht ganz sicher.
Kurze Zeit später nahmen wir einen optimalen Wind auf, wofür ich dankbar war. Ich war müde, obwohl ich den ganzen Tag über gedöst hatte. Mein Entkommen aus der Kristallhöhle, meine Begegnung mit dem Tunnelbewohner sowie die Verfolgung durch den Wirbelwind und seinen maskierten Meister - all das floß in meinem Denken zusammen zu einer einzigen Begebenheit ohne Unterbrechung, was es in Wirklichkeit auch war. Und jetzt machte sich die Nachwirkung des Adrenalinstoßes, den meine letzte Aktivität ausgelöst hatte, allmählich bemerkbar. Ich wollte nichts anderes, als dem Klatschen der Wellen zu lauschen, während ich das Vorbeigleiten des zerklüfteten schwarzen
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