Ambler-Warnung
auf einen jungen Schwarzen aufmerksam, der sich schlecht hielt, sackartige Jeans, eine tief ins Gesicht gezogene Schirmmütze und ein buntes Halstuch trug, einen Diamantstecker im linken Ohr hatte und sich einen kleinen Kinnbart stehen ließ. Er war in eine Duftwolke aus Aramis gehüllt, und sein Blick ging über die Straße zu einem anderen jungen Mann hinüber – selbstbewusst, gut angezogen, sportlich fit, blond gelockt -, dann wandte er sich wieder ab, riss sich förmlich los, weil er entschlossen war, sein Interesse zu verbergen. Ein vollbusiges kakaobraunes Mädchen mit geglättetem Haar und dunkel glänzendem Lippenstift auf vollen Lippen, trotz ihrer Stilettoabsätze klein, hatte Mühe, mit dem jungen Schwarzen Schritt zu halten: ihr Freund, wie er sie zumindest glauben ließ. Irgendwann würde sie sich fragen, warum ihr auf der Straße so überheblicher und großspuriger Freund so keusch und zurückhaltend war, wenn sie allein waren. Weshalb ihre Verabredungen so früh endeten, wohin er anschließend wirklich verschwand. Ambler spürte jedoch, dass solche Gedanken ihr noch fremd waren, dass sie vorerst nicht einmal ahnte,
dass er zu seiner Selbstverwirklichung die Gesellschaft junger Männer brauchte.
Das Cybercafé lag dort, wo Ambler es in Erinnerung hatte: drei Straßenblocks östlich des Dupont Circle nahe der Ecke Seventeenth und Church Street. Er wählte einen Arbeitsplatz in der Nähe des ehemaligen Schaufensters, von dem aus er die Straße überblicken konnte; er würde sich nicht noch einmal überraschen lassen. Mit einigen Tastaturbefehlen rief er die »Watchlist« auf, eine Datenbank des Justizministeriums, auf die zahlreiche Bundesbehörden Zugriff hatten. Kennwörter, an die er sich nebelhaft erinnerte, funktionierten noch, was beruhigend war. Dann gab er seinen vollständigen Namen in die interne Suchmaschine ein; er wollte sehen, ob sein Name irgendwie gekennzeichnet war. Nach wenigen Augenblicken erschien auf dem Bildschirm eine Mitteilung:
Keine Akte zu HARRISON AMBLER.
Das war eine merkwürdige Panne; jeder Staatsbedienstete, selbst wenn er nicht mehr auf der Gehaltsliste stand, hätte zumindest namentlich aufgeführt werden müssen. Und obwohl seine Identität bei Consular Operations natürlich nicht in solchen Datenbanken auftauchte, war sein ziviler Tarnjob im Außenministerium eine vertraglich bestätigte Tatsache.
Mit irritiertem Schulterzucken rief er die Homepage des Außenministeriums auf und ging hinter einer Firewall zu der passwortgeschützten, aber nicht streng geheimen Datenbank der Personalabteilung. Sein ziviler Tarnjob hätte sich mühelos verifizieren lassen müssen. Hal Ambler hatte jahrelang jedem, der ihn fragte, von seiner Tätigkeit auf der mittleren Ebene der Abteilung »Kultur und Bildung« des Außenministeriums
erzählt. Über dieses Thema – »kulturelle Diplomatie«, »Freundschaft durch Bildung« und so weiter – konnte er sich bei Bedarf ernsthaft und bis zum Abwinken verbreiten. Obwohl dies alles nicht das Geringste mit seiner wirklichen Tätigkeit zu tun hatte.
Er hatte sich oft gefragt, was passieren würde, wenn er auf einer Cocktailparty die Frage nach seinem Beruf ehrlich beantworten würde. Ich? Ich arbeite in einer ultrageheimen Abteilung eines bereits geheimen Nachrichtendiensts, der sich Consular Operations nennt. Ein Programm mit besonderen Zugangsrechten, die nur etwa fünfundzwanzig Regierungsmitglieder besitzen. Unsere Abteilung heißt Political Stabilization Unit. Was wir machen? Nun, alles Mögliche. Ziemlich oft müssen wir Leute »staben«, drum nennt man uns auch Stab-Boys. Stab bedeutet in unserem Jargon erstechen. Wir killen Leute, die hoffentlich schlimmer sind als die Leute, die wir vor ihnen retten. Aber das weiß man natürlich nie genau. Soll ich Ihnen noch einen Drink mitbringen?
Er tippte seinen Namen in die Datenbank des Außenministeriums ein, drückte die Eingabetaste und wartete einige lange Sekunden auf das Ergebnis.
BEDIENSTETER HARRISON AMBLER NICHT GEFUNDEN. BITTE SCHREIBWEISE ÜBERPRÜFEN UND ERNEUT VERSUCHEN.
Sein Blick glitt über das Fenster zur Straße, und obwohl er keine verdächtigen Aktivitäten feststellen konnte, brach ihm plötzlich der kalte Schweiß aus. Er rief die Datenbank der Sozialversicherung auf und startete eine Suche nach seinem Namen.
HARRISON AMBLER nicht gefunden.
Unbegreiflich! Er rief methodisch weitere Datenbanken auf und startete Suche um Suche. Eine nach der anderen lieferte
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