Amelia Peabody 01: Im Schatten des Todes
mußt gehen, dann geh nur … Ich will dich nicht … aufhalten.«
Ich kam mir wie ein Judas vor, als ich Evelyn durch halbgeschlossene Lider beobachtete. Fast wurde ich schwach, aber ich konnte Emerson nicht so grausam enttäuschen, nachdem er, dieser arrogante Weiberfeind, mir gesagt hatte, ich sei weit und breit die einzige Frau, der er … Ich mußte mich jetzt zwischen Evelyn und Emerson oder zwischen Evelyn und meinen eigenen Grundsätzen entscheiden; ich mußte also Evelyn betrügen – zu ihrem eigenen Besten.
Es war eine schwere Prüfung für mich, ihren Kampf zu beobachten. Sie rang die Hände, bis die Knöchel weiß hervortraten, und ihre Stimme war voll Resignation. »Natürlich bleibe ich bei dir, Amelia. Eine ruhige Nacht wird dir guttun.«
»Ganz gewiß«, murmelte ich, und dabei hatte das arme Mädchen keine Ahnung, welche Nacht ich erwartete.
Ich hätte im Bett bleiben und alle Nahrung verweigern sollen, doch allmählich wurde ich von einem wütenden Hunger geplagt. Als die Dämmerung anbrach, fühlte ich mich sicher, denn nicht einmal Evelyn würde den Rückweg bei Nacht zurücklegen wollen. Ich sagte, mir gehe es besser, und ein wenig Nahrung würde mir sicher nicht schaden. Ich mußte mich beherrschen, daß ich nicht die herrlichen Sachen, mit denen der Koch sich selbst übertroffen hatte, gierig in mich hineinschaufelte.
Lucas hatte ein paar Flaschen Champagner mitgebracht. Er war im Abendanzug, der ihm ausgezeichnet stand, zumal er sehr tief gebräunt war. Wir speisten auf dem Oberdeck, und der Sternenhimmel über uns war schöner als jedes Palastdach. Mich überkam ein Gefühl der Unwirklichkeit. Die vergangene Woche schien es gar nicht gegeben zu haben. Das Boot schwankte leicht, die Wellchen klatschten an die Bootswand, die Männer unten sangen leise ihre wehmütigen Melodien oder unterhielten sich gedämpften Tones; es roch nach Fluß, nach Nachtwind, Kohlenofen und Wüste. Der Zauber des Abends nahm mich ganz und gar gefangen.
Lucas trank wieder einmal zuviel, wenn er, und das muß ich zugeben, auch ganz deutlich sprach und keine fahrigen Bewegungen machte. Nur seine Augen glänzten immer greller, je mehr er trank, und seine Reden wurden immer fantastischer. Einmal kündigte er an, er werde sofort zum Lager zurückkehren, um die Mumie nicht zu versäumen, und im nächsten Augenblick lachte er schallend über diese Geschichte, über die Brüder Emerson und ihr schäbiges Leben, über die Widersinnigkeit, nur nach zerbrochenen Scherben im Sand graben zu wollen, und dann kündigte er an, daß er selbst nach Luxor und dem glorreichen Theben weiterreisen wollte.
Evelyn saß da wie eine blasse Statue. Sie hatte keine Abendrobe angezogen, sondern trug ihren Morgenrock, dessen blaßrosa Seide mit winzigen Rosenknospen bestickt war.
»Ich will ja deine Kleider nicht kritisieren, Base«, sagte Lucas plötzlich. »Aber du solltest das tragen, was deiner
Schönheit und Stellung entspricht. Seit Kairo habe ich nicht ein Kleid an dir gesehen, das richtig zu dir gepaßt hätte. Schade, daß ich deine Kisten nicht mitbringen konnte.«
»Es wäre auch unnötig gewesen, Lucas«, antwortete Evelyn. »Es wird mir keinen Spaß machen, sie auszupacken. Die eleganten Kleider will ich nie wieder tragen. Sie würden mich schmerzlich an die Güte meines Großvaters erinnern.«
»Dann verbrennen wir sie ungeöffnet, sobald wir wieder in Kairo sind«, schlug Lucas großzügig vor. »Ich werde dir Kleider kaufen, die deiner würdig und mit denen keine schmerzlichen Erinnerungen verbunden sind.«
»Ich habe die Kleider, die meiner Stellung entsprechen«, erklärte sie nachdrücklich. »Und die Vergangenheit läßt sich nicht auslöschen, Lucas. Von einigen Dingen kann ich mich nicht trennen, und ich will sie aufbewahren, damit sie mich an glückliche Zeiten erinnern. Ich habe für so vieles dankbar zu sein, daß ich mich nicht an meine Fehler und Irrtümer verlieren darf.«
»Das war gut gesagt, Evelyn«, lobte ich sie. »Aber was geht unten vor? Die Männer machen solchen Lärm.«
Ich hatte recht, wenn ich auch das Thema nur wechselte, um Evelyn von trüben Gedanken abzubringen. Die Männer lachten und sangen laut.
»Oh, ich habe ihnen Whisky gestiftet«, verriet Lucas. »Sie vergaßen ganz gern, daß ihr Prophet den Alkohol verboten hat. Und ein Gläschen kann ja gar nicht schaden.«
»Aber Sie haben jetzt genug«, stellte ich fest und nahm ihm die Flasche weg. »Vergessen Sie bitte nicht, daß unsere
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