Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
in einer Weise damit herum, die in jeder Mutter eines Sohnes die schlimmsten Befürchtungen erwecken mußte. »Ramses besitzt ein frappierend ähnliches. Sein Papa hat es ihm unter der Bedingung geschenkt, daß er es niemals auf den Möbeln ausprobiert.«
»Das würde ich nie tun, Tante Amelia«, versicherte mir Percy.
»Ich habe es ebenfalls von meinem Papa bekommen. Ist es nicht toll? Schau, es hat drei Klingen und einen Angelhaken.«
»Sehr schön, Percy. Nein, Violet, du hast schon zwei Muffins gegessen, einer wäre genug gewesen. Ramses …«
Aber Ramses tat ausnahmsweise nichts, was er nicht hätte tun sollen. Seine Prellungen hatten sich im Verlauf der Nacht zu farbenprächtigen Blutergüssen entwickelt, und sein Gesichtsausdruck wirkte beinahe so abwesend wie der seines Vaters.
»Ja, Mama?« fragte Ramses unvermittelt.
»Ach nichts. Emerson, steht irgend etwas Interessantes in den Zeitungen?«
»Nichts, was wir nicht bereits wüßten, Peabody. Der Standard bemerkt, daß solche gesetzwidrigen Vorfälle unter konservativer Regierung undenkbar wären, und die Daily News stellt fest, daß es sich um den harmlosen Scherz mehrerer betrunkener junger Männer gehandelt haben muß.«
»Wie schade, daß du den Burschen nicht schnappen konntest, Onkel Radcliffe«, meinte Percy. »Das ist schon das zweite Mal, daß er dir entwischt ist, nicht wahr?«
Seine weit aufgerissenen Augen blickten so unschuldig wie die eines Babys.
Mauldy Manor, seit Urzeiten Herrschaftssitz der Grafen von Liverpool, liegt am Fluß in der Nähe von Richmond. Ich freute mich auf eine Besichtigung, da das Anwesen sämtlichen Schilderungen zufolge pittoresk und ehrwürdig sein sollte und seine Grundmauern, so hieß es, zeitgleich mit dem Bau des Londoner Towers begonnen worden waren. Trotz der architektonischen Unterschiede vertrat es den üblichen Anspruch auf Geschichtsträchtigkeit; Charles II. hatte die Nacht vor seiner Flucht nach Holland hier verbracht (die werten Stuarts bestimmten jene Ära); Edward II. war in einem der Kerker gefoltert worden, bevor er nach Berkeley gebracht wurde; und praktisch jeder, der mit den Rosenkriegen in Verbindung zu bringen war, hatte das Anwesen belagert. (Die Grafen von Liverpool waren für ihr Talent berühmt, häufiger die Seiten zu wechseln.) Keine Sammlung übersinnlicher Geschichten konnte ohne das stolze Repertoire von Mauldy Manor auskommen: die Weiße Dame, der Schwarze Hund, der kopflose Höfling, die von Pferdeskeletten gezogene Geisterkutsche.
Emerson sah in Gehrock, Zylinder und dunkler Hose blendend aus. Er hatte diese Garderobe ohne mein Drängen gewählt, woraufhin ich mich fragte, was er wohl vorhatte. Ich hatte ein kleines Problem bei der Wahl meiner Bekleidung gehabt. Die Ehre der Emerson-Peabodys verlangte mein bestes Kostüm und einen Schirm, doch praktische Garderobe erschien ratsam, falls ich eilig den Rückzug antreten oder mich gegen Angreifer verteidigen mußte. Schließlich gehörte Seine Lordschaft zu meinen Verdächtigen. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, warum er sich Oldacres Tod wünschen oder eine ganze Reihe anderer Dinge tun sollte, trotzdem war er verdächtig, und mich ohne meinen Werkzeuggürtel in sein efeuüberwuchertes, schicksalträchtiges altes Gemäuer zu wagen war vielleicht töricht.
Emersons Entscheidung, mich zu begleiten, enthob mich dieser Sorge, und ich entschied mich für ein soeben von meiner Schneiderin fertiggestelltes Ensemble. (Ich bin nicht näher auf meine Besuche in ihrem Haus eingegangen, da solche Einzelheiten keineswegs Eingang in ein Tagebuch finden sollten, das wissenschaftlichen und kriminalistischen Aktivitäten gewidmet ist. Der werte Leser wird sich jedoch erinnern, daß ich kurz nach meiner Ankunft in London Vorkehrungen für eine neue Garderobe traf.) Das sogenannte Ausgehkleid war aus blaßrosafarbener Wildseide mit einem breiten, weichen Ledergürtel und schwarzen Kordeln an Revers und Ärmeln. Ein hoher Rüschenkragen schmeichelte dem Gesicht, und der passende Hut war ein riesiges Gebilde aus Seidenbändern, Seidenrosen und Seidenblättern. Um auf der sicheren Seite zu sein, wählte ich meinen schwarzgerüschten Schirm statt des entsprechenden rosafarbenen, da mir dessen Konstruktion nicht ganz so zuverlässig erschien.
Während der Fahrt verlief unser Gespräch einsilbig. Emerson grübelte. Er rieb sich ständig nachdenklich das Kinn, und selbst meine Erwähnung frühzeitlicher Keramik entlockte ihm lediglich ein
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