Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
konnte es der Frau schwerlich übelnehmen, daß sie diese neuerliche Ausgeburt menschlicher Ignoranz für einen zweiten Karrierestart nutzte; ich wünschte nur, sie wäre etwas einfallsreicher vorgegangen. Bei ihrer Vorstellung handelte es sich um den typischen, langweiligen Austausch von Frage und Antwort zwischen dem Medium und ihrer »Kontrolle« beziehungsweise ihrem »spirituellen Führer«. Madame Blatantowskis Führer trug den faszinierenden (und phantasievollen) Namen Fetet-ra, und sein Bariton hatte eine unverkennbare Ähnlichkeit mit ihrer rauhen Stimme. Er schien darauf zu drängen, daß alle diejenigen, die die »Prinzessin« erneut in ihre letzte Ruhestätte überführt wissen wollten, Madame einen Obolus entrichteten.
Entsprechend des Ausmaßes seiner Einfältigkeit lauschte das Publikum feierlich respektvoll oder skeptisch grinsend. Als ich auf einem Gesicht in meiner Nähe ein besonders breites und skeptisches Grinsen wahrnahm, steuerte ich darauf zu.
»Ich dachte, ihr hättet kein Interesse an einer solchen Sensationsgier«, bemerkte ich.
»Walter hat mich hergeschleift«, erklärte Emerson. »Hallo, Ramses, mein Junge; paß gut auf, ein solch hervorragendes Beispiel menschlicher Torheit wirst du nur selten geboten bekommen.«
Grinsend nickend begrüßte mich Walter, doch Mr. Wilson, der sich in seiner Begleitung befand, teilte seine Belustigung keineswegs.
»Ach du meine Güte, ach du meine Güte«, blökte er wie ein Schaf, dem er auch ziemlich ähnelte. »Was wird Mr. Budge dazu sagen? Erwies mich an, etwas Derartiges zu unterbinden …«
Walter klopfte ihm auf den Rücken. »Kopf hoch, Wilson. Das erhöht schließlich die Besucherzahlen; einige sehen sich vielleicht auch anderweitig um und tun etwas für ihre Bildung.«
Wilson rang seine feingliedrigen Hände. »Sie sind zu liebenswürdig, Mr. Emerson, Sir, und ich werde dieses Argument natürlich an Mr. Budge weitergeben, aber er hat kein … Er hat mich beauftragt …«
»Dieses eine Mal muß ich Budge recht geben«, meldete sich Emerson zu Wort. »Das ist reine Zeitverschwendung. Dieses verdammte Weibsstück hat keine Ahnung, wie man ein Publikum begeistert.«
»Deine Geisterbeschwörungen sind wesentlich wirkungsvoller«, bekräftigte ich. »Trotzdem, Emerson, nur wenige Menschen verfügen über dein Talent zur Dramatik.«
»Korrekt«, erwiderte Emerson. »Vermutlich hat sie sich eine Kleinigkeit für ihre Bemühungen verdient.« Bevor ich ihn noch davon abhalten konnte, nahm er einige Münzen aus seiner Jackentasche. Mit einer gekonnten Bewegung warf er sie über die Köpfe der Zuschauer, so daß sie, melodisch über den Marmor klingelnd, vor den Füßen von Madame landeten.
Damit war die Vorstellung beendet. Einige Zuschauer brachen in schallendes Gelächter aus und warfen selbst einige Münzen. Andere bückten sich, um sie aufzuheben. Emerson beobachtete das Ganze mit einem zufriedenen Grinsen.
»Wie gemein von dir, Emerson«, schalt ich.
»Meine Toleranz für Schwachköpfe ist begrenzt«, sagte Emerson. »Falls sie … Ha! Sieh doch, Peabody. Der Auftakt ist vorüber, und das Spiel geht weiter.«
Der »Priester« hatte sein Erscheinen zeitlich geschickt eingefädelt. Alle Blicke waren auf das Medium konzentriert gewesen; niemand – nicht einmal ich – hatte sein Kommen bemerkt. Man hatte beinahe den Eindruck, er wäre einem der an der Wand aufgereihten Sarkophage entstiegen. Mit vor der Brust gekreuzten Armen blieb er vollkommen bewegungslos stehen. Sein Gesicht war ebenso starr wie die bemalten Häupter der Särge.
Was nicht weiter erstaunlich war, da er eine Maske trug – nicht diese moderne Version, die lediglich das Gesicht bedeckt, sondern ein kunstvolles Replikat der Pappmaché-Konstruktionen, welche gelegentlich die Köpfe von Mumien verhüllten. Seine Lockenperücke entsprach einer exakten Kopie der in der ausgehenden Empire-Epoche getragenen. Die Gesichtszüge waren sorgfältig modelliert, die Lippen geschminkt, die Brauen mit schwarzer Farbe aufgemalt. Die Augen waren leere Höhlen.
Das Leopardenfell war echt. Ich kann nicht sagen, warum mich ausgerechnet dieses Detail berührte; vielleicht lag es an dem Gegensatz zwischen dem wütenden Zähnefletschen dieses Raubtiers und seinen weichen, herunterbaumelnden Klauen. Das Fell war an einer Schulter befestigt, so daß der Kopf auf der Brust des Trägers ruhte. Darunter trug er ein langes, weißes Gewand.
Es wäre schlichtweg Untertreibung gewesen, diese bizarre
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