Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
davon.« Percy straffte die Schultern und schob sein Kinn vor.
»Ich würde dir jeden Wunsch erfüllen, Nefret, aber in diesem Fall befinde ich mich in einer unmöglichen Situation. Ramses hat mich wissentlich hintergangen – aus den ehrenhaftesten Motiven, dessen bin ich mir sicher –, aber da ich jetzt die Wahrheit erfahren habe, schulde ich ihm den verdienten Dank. Ein Offizier und Gentleman könn te gar nicht anders reagieren.«
Mir dreht sich schlichtweg der Magen um, wenn ich an die abgedroschenen Phrasen denke, mit denen ich ihn anflehte, sich nicht wie ein Offizier und Gentleman zu verhalten. Ja, ich mußte ihn anflehen. Ob er sich tatsächlich dazu herabgelassen hätte, weiß ich nicht; etwas Derartiges paßt eigentlich nicht zu ihm. Trotzdem wollte ich kein Risiko eingehen. Mir war klar, daß Ramses fuchsteufelswild sein würde, wenn er herausfand, daß ich ihn verraten hatte. Schließlich erklärte sich Percy widerwillig bereit – um mir einen Gefallen zu tun.
Nach seinem Aufbruch zitterte ich am ganzen Körper und mußte mich hinsetzen. Du kennst mein überschäumendes Temperament, Lia; ich fahre zu schnell aus der Haut, und wenn ich wieder klar denken kann, werde ich von Reue und Schuldgefühlen geplagt. Nicht, weil ich Percy vor den Kopf gestoßen hatte – er hatte es verdient, obwohl ich zugeben muß, daß er erstaunlich gefaßt blieb.
Ich rechnete damit, daß er tobte und alles vehement abstritt. Trotzdem kann ich es mir nicht verzeihen, daß ich Ramses verraten habe. Auch eine stillschweigende Übereinkunft ist bindend. Du wirst doch nichts sagen, oder?
Nicht einmal gegenüber David!
Aus Manuskript H
Es war fast Mitternacht, als Ramses, lediglich mit einer weiten Baumwollhose bekleidet, die Dahabije verließ. Nachdem er ins Wasser geglitten war, wartete er einen Augenblick; da er keine Warnung von dem Wachtposten vernahm, der auf der anderen Seite des Hausbootes am Ufer saß, schwamm er einige Meter flußabwärts, wo er seine Kleidung versteckt hatte. Die verlassene Hütte, kaum mehr als ein Haufen verwitterter Nilschlammziegel, hatten er und David schon häufiger benutzt, wenn sie in diversen Tarnungen die Souks und Kaffeehäuser aufsuchen wollten. Ramses bereute es immer noch, daß er sein Alter ego als Ali die Ratte hatte aufgeben müssen; jahrelang hatte ihm diese Verkleidung gute Dienste erwiesen, bis einer ihrer unangenehmeren Widersacher Alis wahre Identität aufdeckte.
In jener Nacht verzichtete er auf eine Tarnung. Eine Verkleidung hätte seinen Plan zum Scheitern verurteilt, für den er sich dieser Mühen unterzog. Da ihm klar gewesen war, daß er ans Ufer würde schwimmen müssen, hatte er einige Kleidungsstücke in der Ruine deponiert. Das war verflucht umständlich, trotzdem durfte er keinesfalls riskieren, daß der nächtliche Wachtposten, einer von Selims zahllosen Cousins, seinem Vater berichtete, daß er das Hausboot verlassen hatte, wenn man ihn schlafend im Bett vermutete. Achmed hätte sich eher die Kehle aufgeschlitzt, als den Vater der Flüche zu belügen.
Er zerrte das Bündel mit seiner Kleidung aus einem Spalt im Mauerwerk, trocknete sich ab und zog sich an. Unwillkürlich überlegte er, warum ausgerechnet ihm das Unglück beschieden war, einer so energiegeladenen und neugierigen Familie anzugehören. Es war beinahe unmöglich, sich ohne stichhaltige Gründe von ihnen zu entfernen. Wenn er nicht bei den Ausgrabungen erschien, wollte sein Vater wissen, wo zum Teufel er gewesen war; tauchte er zu den Mahlzeiten nicht auf, traktierte seine Mutter ihn mit Fragen; wollte Nefret etwas von ihm und er war nicht auffindbar, dann vermutete sie umgehend, daß er ohne ihr Wissen irgendeine geheimnisvolle, möglicherweise gefährliche Mission unternahm. Das wäre ein Verstoß gegen ihr oberstes Gesetz gewesen, welches David und er formuliert hatten und vehement vertraten; gemessen an den Situationen, mit denen sie häufiger konfrontiert waren, handelte es sich um eine sinnvolle Vorsichtsmaßnahme, und Ramses hielt sich zähneknirschend daran, weil er genau wußte, daß Nefret es ebenfalls nicht einhalten würde, wenn er es außer acht ließe. Vermutlich würde sie die von ihm hinterlassene Notiz nicht als korrektes Äquivalent für eine mündliche Benachrichtigung werten, doch er tröstete sich mit dem Gedanken, daß er vermutlich tot war, wenn sie den Zettel noch vor seiner Rückkehr fand.
Er hatte ihr zwar schriftlich erklärt, wohin er ging, aber nicht warum. Die Gründe
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