Amelia Peabody 12: Der Donner des Ra
mir keine Sorgen machen müssen, dass sie am Abend ausging.
Ramses und Emerson saßen noch am Tisch, als ich zurückkehrte. »Was hatte das nun wieder zu bedeuten?«, brummte mein Gatte. »Du bist hinausgespurtet wie ein Beute witternder Jagdhund.«
Nefret hatte den Wunsch geäußert, sich in ihrem Zimmer etwas auszuruhen, also konnte ich ungezwungen reden. Ich schilderte ihnen meinen Verdacht.
»Du siehst hinter allem irgendwelche Geheimnisse«, knurrte Emerson. »Haben wir nicht schon genug andere Probleme?«
Ramses’ ausdruckslose Miene wurde noch nichts sagender. »Entschuldigt mich«, sagte er und schob seinen Stuhl zurück.
»Wo gehst du hin?«, wollte ich wissen.
»Ich bin fertig. Muss ich erst eure Erlaubnis abwarten, ehe ich den Tisch verlassen darf? Ich bin in meinem Zimmer, falls ihr mich braucht.«
Sein schroffer Tonfall irritierte mich nicht. Ich bedachte ihn mit einem entschuldigenden Lächeln. »Angenehme Ruhe.«
Auch ich hatte mich etwas ausruhen wollen, konnte mich aber nicht hinlegen. Ein aufgewühlter Geist findet keinen Schlaf. Wenn ich nicht an Johnny und seine bedauernswerten Eltern dachte, sorgte ich mich um Lia und die Auswirkungen des Schocks auf ihr Kind, und um David, der allein in irgendeiner schäbigen Hütte trauerte, und um den Vormarsch der Türken und um Ramses … der vielleicht etwas tat, was ich nicht gutheißen würde. Ich vertraute ihm nicht mehr als früher.
Nach einer Weile gab ich auf und schlenderte in den Garten. Gartenarbeit hilft dem gemarterten Gemüt, wie Shakespeare meint (in diesem Fall allerdings an anderer Stelle), doch als ich sah, was das Kamel mit meinen Blumen angestellt hatte, geriet ich vollends aus der Fassung. Was das verfluchte Vieh nicht zertreten hatte, hatte es gefressen, einschließlich mehrerer Rosensträucher. Für ein Kamel sind Dornen lediglich eine pikante Würze.
Ich ging auf die Suche nach dem Gärtner, weckte ihn auf und kehrte mit ihm und einigen Gartengeräten an den Ort der Zerstörung zurück. Alles musste umgegraben und neu bepflanzt werden. Um mich zu beruhigen, griff ich zum Spaten und legte selbst Hand an. Während meiner Tätigkeit stürmte Nefret aus dem Haus. Sie trug Straßenkleidung, Hut und Handschuhe.
»Da bist du!«, rief sie. »Gütiger Himmel, warum gräbst du den Garten um?«
Ich steckte meinen Spaten in den Boden und wischte mir den Schweiß von der Stirn. »Die Kapuzinerkresse gefiel mir nicht mehr. Wohin gehst du? Ich bin davon ausgegangen, dass du zum Abendessen hier bist.«
»Sophia rief an; vor kurzem wurde eine Frau eingeliefert, die möglicherweise operiert werden muss. Ich muss sofort aufbrechen. Ich weiß nicht, wann ich zurück sein werde.«
»Viel Glück für sie und für dich, mein Schatz.«
»Danke. Seid ihr heute Abend hier? Ihr alle?«
»Hm, ja, ich glaube schon.«
Mir schien, als wollte sie noch etwas sagen, doch dann nickte sie und stürmte davon.
Ich beobachtete sie, bis sie außer Sichtweite war. Dann überließ ich Jamal das Umgraben und ging ins Haus. Als man mich zu Sophia durchstellte, war sie offensichtlich verblüfft, dass ich die Mühe auf mich nahm, sie zu informieren, dass Nefret unterwegs war. Trotzdem dankte sie mir überschwänglich.
Wenigstens wusste ich jetzt, dass Nefret mich diesmal nicht belogen hatte. Wo zum Teufel war sie am Nachmittag zuvor gewesen – und, noch wesentlicher, wen hatte sie getroffen? Was auch immer sie tat und aus welchem Beweggrund, ich musste es unterbinden. Meine einzige Entschuldigung, warum ich die Konfrontation vermieden hatte, war mein Engagement in der anderen Sache, und diese war jetzt geklärt. Heute Abend, überlegte ich. Sobald sie heimkehrt.
Nach meiner schweißtreibenden Arbeit im Garten war ein schönes Bad kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit.
Emerson hatte ich den ganzen Nachmittag nicht gesehen; er hatte sein Arbeitszimmer aufgesucht, um zu lesen oder seinen Gedanken nachzuhängen. Ich beschloss, ihn mit einem der hübschen Nachmittagskleider zu überraschen, die Nefret mir zu Weihnachten geschenkt hatte. Besonders gefallen hatte ihm ein dünnes gelbes Seidenkleid, das praktischerweise vorn geschlossen wurde. (Praktisch beim Ankleiden, will ich damit sagen.) Sonnengelb ist eine fröhliche Farbe. Ich habe mich nie überwinden können, schwarze Trauerkleidung zu tragen; sie ist ein Armutszeugnis für einen Glauben, der dem Verdienstvollen Unsterblichkeit verspricht.
Als Emerson sich zu mir in den Salon gesellte, bewies mir seine
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