Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)
diese Villa geht, die für sie ein schreckliches Gefängnis gewesen war. Wie die Erinnerungen sie immer noch quälen. Sie erzählt, wie Amon Göth seine Dienstmädchen prügelte, sie diese Treppen hier hinunterstieß, sie anschrie: «Schlampe, Hure, dreckige Jüdin.»
Helens jüdischer Freund gehörte einer Widerstandsgruppe im Lager an und wurde von Göth erschossen. Helen erzählt auch von dem Mann, den sie nach Kriegsende liebte, ein Lagerüberlebender wie sie. Sie waren fünfunddreißig Jahre verheiratet, zogen nach Florida, hatten Kinder. Doch ihr Mann konnte das Lager einfach nicht vergessen, und eines Tages brachte er sich um. In seinem Abschiedsbrief stand: «Die Erinnerungen verfolgen mich jeden Tag. Ich kann nicht mehr.»
Ich stehe im Keller meines Großvaters, im dunklen Zimmer von Helen, nur durch ein schmales Fenster dringt das Licht, und man sieht ein wenig Garten. Sie hatte es warm hier, sie schlief nicht auf Stroh in einer zugigen Baracke und hatte sicher auch mehr zu essen als die anderen Häftlinge. Sie musste keine schwere Arbeit im Steinbruch leisten wie die meisten anderen Frauen im Lager, sie trug ein schwarzes Kleid und eine weiße Schürze und servierte Braten und Wein. Und sie lebte unter einem Dach mit einem Menschen, der sie jederzeit töten konnte. Sie dachte, sie würde in diesem Haus sterben.
*
«Wer Göth sah, hat den Tod gesehen», sagte ein Überlebender. Das Lager Płaszów wurde Amon Göth zur Bühne für seine Grausamkeit.
Es gibt viele Berichte von Zeitzeugen darüber. Göths jüdischer Schreiber Mietek Pemper beschrieb, wie der Kommandant einmal mitten im Diktat plötzlich zum Gewehr griff, das Fenster öffnete und auf Häftlinge schoss. Pemper hörte Schreie, dann kam Göth zum Schreibtisch zurück und fragte in unverändert ruhigem Ton: «Wo waren wir stehengeblieben?»
Wenn Amon Göth jemanden ermordet hatte, ließ er anschließend auch dessen Verwandte umbringen, weil er keine «unzufriedenen» Menschen im Lager sehen wollte.
Stella Müller-Madej, ehemals Häftling in Płaszów, schreibt in ihren Erinnerungen über Göth: «Wenn ihm jemand nicht gefällt, packt er ihn bei den Haaren und erschießt ihn auf der Stelle. Er ist ein Hüne, eine mächtige, imposante Erscheinung mit schönen, sanften Gesichtszügen und einem noch sanfteren Blick. So also sieht ein grausames, mörderisches Ungeheuer aus! Wie ist das nur möglich?»
Mit öffentlich zelebrierten Hinrichtungen versuchte Göth, den Häftlingen jeden Gedanken an Flucht oder Widerstand auszutreiben. Wenn er Menschen am Appellplatz erhängen oder erschießen ließ, wurde Schlagermusik dazu gespielt. Größere Menschengruppen wurden meist ein Stück entfernt an einem Hügel erschossen, darunter lag die Grube für die Leichen.
Das Lager Płaszów wuchs, die Häftlinge stammten längst nicht mehr nur aus dem Krakauer Ghetto. Überlebende aus anderen Ghettos, polnische Häftlinge, Roma und Sinti aus anderen Lagern sowie ungarische Juden kamen hinzu. Zeitweilig waren über 20 000 Häftlinge im KZ Płaszów untergebracht. Rund 180 Baracken gab es, umgeben von vier Kilometer Stacheldraht.
Amon Göth wurde innerhalb der SS zum Hauptsturmführer ernannt, ein ungewöhnlich schneller Aufstieg. Er bereicherte sich an den Habseligkeiten der Häftlinge und führte ein Leben im Luxus. Von einem jüdischen Schuster ließ er sich jede Woche neue Schuhe maßfertigen, von einem Konditor Torten backen, bis er fett wurde. In seiner Villa gab er Partys: Alkohol, Musik und Frauen sollten die SS -Leute bei Laune halten. Göth besaß Reitpferde und mehrere Autos, gern ritt er auf seinem Schimmel durchs Lager oder raste mit seinem BMW um die Kurven.
Seinem Schreiber Mietek Pemper diktierte Göth auch die Briefe an die Familie in Wien. Den Alltag im Lager sparte er dabei aus, erkundigte sich beim Vater nach den Verlagsgeschäften, bei seiner Frau nach den Kindern: Anna Göth hatte noch die Kinder Ingeborg und Werner geboren. Als Amon Göth hörte, dass Werner seine Schwester Ingeborg schlage, diktierte er in einem Brief an seine Frau Anna: «Das Schlagen, das hat der Werner wohl von mir.»
Zeitzeugen berichteten, dass Göth je nach Tageslaune unterschiedliche Accessoires trug: Griff er zu weißen Handschuhen oder Schal, dazu Schirmmütze oder Tirolerhut, mussten die Häftlinge das Schlimmste befürchten. Seine beiden Hunde, eine Dogge und einen Schäferhundmischling, nannte er Rolf und Ralf und richtete sie darauf ab, auf Befehl
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