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Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Titel: Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Teege , Nikola Sellmair
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Menschen anzufallen.
    1944 ließ Göth Kinder aus dem Lager Płaszów auf Lastwagen treiben – zum Transport in die Gaskammern von Auschwitz. Dabei ließ er einen Walzer spielen, um die verzweifelten Rufe der Eltern zu übertönen.
    Man könnte es auch so sagen: Amon Göth war perfekt für Hollywood. So wie Adolf Eichmann lange als Inbegriff des gefühl- und verantwortungslosen Schreibtischtäters galt, so taugt Amon Göth als die bis ins Groteske übersteigerte Verkörperung des sadistischen Mörders. Das Bild des schießwütigen KZ -Kommandanten, begleitet von seinen beiden auf Menschen abgerichteten Rüden – es wirkt wie ein düsterer Archetypus, wie eine Vorlage zu Paul Celans Gedicht «Todesfuge». Steven Spielberg zeigt Amon Göth als zerquälten Psychopathen, grausam und dabei doch fast lächerlich.
    Andere Film- und Fernsehbeiträge über Amon Göth sind meist mit unheilsschwangerer Musik unterlegt. Dabei brauchen seine Verbrechen eigentlich keine Untermalung.
    So ungeheuerlich waren Amon Göths Taten, dass es leicht scheint, sich davon abzugrenzen. Der israelische Historiker und Journalist Tom Segev schreibt in seiner Dissertation über KZ -Kommandanten: «Sie waren mitnichten Deutsche wie alle anderen Deutschen und noch nicht einmal Nazis wie alle anderen Nazis. Nicht die Banalität des Bösen ist es, was sie kennzeichnet, sondern vielmehr ihre innere Identifikation mit diesem Bösen. Die meisten Lagerkommandanten gehörten der Nazibewegung schon sehr früh an …; von Anfang an haben sie die braune Politik vehement unterstützt. Der Großteil der Deutschen trat der NSDAP noch nicht einmal bei.»
    Häufig ritt Göth auf seinem Schimmel durch das Lager
    Vielleicht ist Segevs Analyse aber trotzdem zu einfach: Aus gutem Grund wehrte sich der Literaturkritiker und Holocaust-Überlebende Marcel Reich-Ranicki am Beispiel Adolf Hitlers dagegen, dass bekannte Nationalsozialisten in Filmen nur als Monster gezeigt werden. Natürlich war Hitler ein Mensch, sagte Reich-Ranicki, und fügte hinzu: «Was soll er denn sonst gewesen sein, etwa ein Elefant?»
    Es ist sehr leicht, die prominenten Nationalsozialisten zu dämonisieren. Sie anzuschauen wie die Tiere im Zoo: Sind die brutal und pervers! Auf diese Weise muss man sich nicht mit sich selbst befassen, mit der eigenen Familie – und mit den vielen Menschen, die im Kleinen mitmachten: denjenigen, die den Juden im Haus nicht mehr grüßten oder schnell und ohne hinzuschauen weitergingen, wenn Juden verprügelt und ihre Geschäfte zerstört wurden.
    *
    Sie nannten Amon Göth den Schlächter von Płaszów. Ich frage mich immer wieder, wie er so werden konnte. Ich glaube nicht, dass es an seiner Kindheit lag oder am Judenhass. Ich denke, es war viel banaler: Das Töten war in dieser Männerwelt ein Wettkampf, eine Art Sport. Irgendwann war die Ermordung eines Menschen dann nur noch wie das Töten einer Fliege. Am Ende steht die komplette Abstumpfung, der Tod hatte Unterhaltungswert.
    Es gibt ein Schreckensbild, das mich anfangs bis in meine Träume verfolgte: Amon Göth soll einmal eine Jüdin, die in einem großen Trog Kartoffeln für die Schweine kochte, dabei ertappt haben, wie sie aus Hunger eine der Kartoffeln selber aß. Darauf schoss er ihr in den Kopf und befahl zwei Männern, die immer noch lebende Frau ins kochende Wasser zu den Kartoffeln zu werfen. Ein Mann weigerte sich, Göth erschoss auch ihn. Ich weiß nicht, ob diese Geschichte wirklich wahr ist, aber ich sehe diese halbtote Frau vor mir, wie sie in der heißen Brühe zappelt.
    Wie Amon Göth sich über andere erhob, Hinrichtungen mit Musik untermalte, Schals und Mützen als Requisiten des Tötens einsetzte, wie er sich hier in dieser kleinräumigen, armseligen Villa aufspielte – es wäre skurril, wenn es nicht so traurig wäre. Er hatte eine narzisstische Persönlichkeit – aber nicht nur in dem Sinne, dass er selbstverliebt gewesen wäre. Er war ein Narzisst, der sich großartig fühlte, wenn er andere erniedrigte und entwürdigte.
    Ich habe gelesen, wie meine Großmutter ihn immer idealisiert hat: Amon Göth, ein stattlicher Mann, ihr Traummann.
    Daneben das Bild, das Zeitzeugen von ihm zeichnen: jähzornig, grausam, unbeherrscht. Die Hunde. Die übersteigerte Männlichkeit: herrschen, bestimmen. Uniform, Disziplin, Vaterland.
    Meine Mutter hat immer auch den Vater in ihm gesehen, nicht nur den KZ -Kommandanten. Sie steht ihm viel näher, auch wenn sie ihren Vater nicht kennengelernt hat: Sie

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