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Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Titel: Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Teege , Nikola Sellmair
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Freunden in Israel endlich, was los ist.
    Noch nicht, antworte ich. Ich will nachdenken. Und ich muss noch Gräber besuchen. In Krakau.

Herrscher über das KZ Płaszów: Der Großvater Amon Göth
    Wer ihm gefiel, blieb am Leben,
    wer nicht, ging in den Tod.
    (Mietek Pemper, ehemaliger Schreiber Amon Göths)
    Vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen. Unter mir schwankt der Boden; das morsche Parkett knarzt und gibt bei jedem meiner Schritte nach. Es ist kalt und klamm hier, es riecht modrig. Alles ist so verwahrlost. Dort in den Ecken, ist das Rattenkot? Es gibt kein vernünftiges Licht hier. Zu wenig Licht, zu wenig Luft. Vorsichtig gehe ich weiter in das Haus meines Großvaters, über das dunkle Fischgrätparkett ins ehemalige Jagdzimmer. Hier ließ Amon Göth einst ein Schild aufhängen mit dem Spruch: «Wer zuerst schießt, hat mehr vom Leben.»
    Ich wollte das Haus sehen, in dem meine Großeltern lebten. Eine polnische Stadtführerin, deren Adresse ich im Internet gefunden habe, hat mir erzählt, dass es noch steht. Es gehört jetzt einem polnischen Rentner, der darin wohnt und es ab und zu einzelnen Besuchern zeigt. Die Stadtführerin hat den Mann angerufen und einen Termin für mich ausgemacht.
    In der ruhigen Heltmana-Straße im Krakauer Stadtteil Płaszów fällt das einzige verfallene Haus zwischen gepflegten Einfamilienhäusern sofort auf. Einige Fenster sind zerbrochen, die Vorhänge schmutzig, von außen wirkt es unbewohnt. An der Vorderseite der Villa hängt ein großes Schild: «Sprzedam. For sale.»
    Die Eingangstür ist immer noch schön, die dunkelrote Farbe nur leicht verblasst, das Holz mit Ornamenten verziert. Ein ungepflegter alter Mann hat sie geöffnet und mich durch einen schmalen Treppenaufgang hereingeführt. Die Stadtführerin Malgorzata Kieres – ich soll sie einfach Malgorzata nennen – übersetzt sein Polnisch für mich. Ich habe Malgorzata nicht erzählt, woher mein Interesse an dem Haus rührt, sie hält mich für eine historisch interessierte Touristin.
    Ich schaue mich um. Der Putz blättert von den Wänden. Kaum Möbel. Dazu diese Kälte, die einem in die Glieder kriecht. Der Gestank. Die Decken sind abgestützt mit hölzernen Balken. Hoffentlich fällt das Haus nicht zusammen. Begräbt mich unter sich.
    Wackelige Mauern, dazwischen die Vergangenheit.
    Über ein Jahr ist vergangen, seit ich das Buch über meine Mutter in der Bibliothek gefunden habe. Seitdem habe ich alles gelesen, was ich über meinen Großvater und die NS -Zeit finden konnte. Der Gedanke an ihn verfolgt mich, pausenlos muss ich an ihn denken. Sehe ich ihn als Großvater oder eher als historische Figur? Er ist beides für mich: der Płaszów-Kommandant Amon Göth und mein Großvater.
    Als Jugendliche interessierte ich mich sehr für den Holocaust. Mit meiner Münchner Schulklasse besuchte ich das KZ Dachau. Ich verschlang Bücher über den Nationalsozialismus: «Als Hitler das rosa Kaninchen stahl», «Ein Stück Himmel», «Das Tagebuch der Anne Frank». Ich sah die Welt mit den Augen von Anne Frank, fühlte ihre Angst, aber auch ihren Lebensmut und ihre Hoffnung.
    Die Geschichtslehrer an meinem Gymnasium zeigten uns Dokumentationen über die Befreiung der Konzentrationslager, wir blickten auf Menschen, die nur noch Skelette waren. Ich las und las, wollte wissen, was die Täter trieb, wie Menschen so handeln können. Irgendwann gab ich auf: Es gab Erklärungen, ja, aber ich würde es niemals ganz verstehen. Das Thema war für mich erst einmal abgehakt, ich beschloss: Ich hätte mich nicht so verhalten. Ich bin anders. Die Deutschen sind jetzt anders.
    Während meiner ersten Zeit in Israel, mit Anfang 20 , las ich noch einmal viel zum Nationalsozialismus. Aber selbst dort, wo ich täglich den Opfern und ihren Kindern und Enkeln begegnete, gab es bald wichtigere Themen. Ich hatte so viel gelesen, so viele Leute dazu befragt. Es schien mir, als wüsste ich alles über den Holocaust. Mich interessierte viel mehr das Hier und Jetzt: der Konflikt mit den Palästinensern, die Kriegsgefahr.
    Ich dachte, ich wüsste Bescheid, aber nun, mit knapp vierzig, fange ich wieder von vorne an.
    Unter den ersten Büchern, die ich lese, ist ein Klassiker aus dem Jahr 1967 : «Die Unfähigkeit zu trauern» von Alexander und Margarete Mitscherlich. Ich mag die Herangehensweise der beiden: Sie blicken ins Innere des Menschen, versuchen zu verstehen, ohne zu richten. Als Psychoanalytiker hatten sie immer wieder mit Patienten zu

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