Amsterdam-Cops 04 - Tod eines Strassenhaendlers
Warum sollte er?»
«Warum sollte er nicht?»
«Weil er der Freund des Toten war.»
«Er könnte der Mörder des Toten sein.»
De Gier trank seinen Kaffee und starrte Cardozo an, der ihn zwischen zwei Ballen Stoff anfunkelte. «Worüber regst du dich so auf? Wenn er der Mörder ist, verschwenden wir hier unsere Zeit und müssen auf andere Weise an ihn herankommen. Wenn er es aber nicht ist, wird er uns schützen. Er weiß, daß er verdächtigt wird, und wenn wir den Mörder finden, ist er außen vor; außerdem könnte er wirklich wünschen, daß wir den Mörder schnappen. Er war angeblich Rogges Freund, nicht wahr? Es gibt so etwas wie Freundschaft.» Cardozo brummte. «Glaubst du nicht an Freundschaft?»
Cardozo antwortete nicht.
«Nein?»
«Ich bin Jude», sagte Cardozo, «und Juden glauben an Freundschaft, weil sie ohne sie nicht überlebt hätten.»
«Das meine ich nicht.»
«Was meinst du denn?»
«Freundschaft», sagte de Gier. «Du weißt, Liebe. Ein Mensch liebt einen anderen. Er ist froh, wenn der andere froh ist, und traurig, wenn der andere traurig ist. Er identifiziert sich mit dem anderen Menschen. Sie sind zusammen, und zusammen sind sie mehr als die Summe von zwei Individuen.»
«Du brauchst mir das nicht zu buchstabieren», sagte Cardozo. «Ich glaube dir sowieso nicht. Es gibt so etwas wie gemeinsame Interessen und den Gedanken, daß zwei Menschen mehr bewirken können als einer. Das kann ich verstehen, aber auf Liebe laß ich mich nicht ein. Ich bin schon seit einer Weile bei der Polizei. Die Freunde, die wir fangen, hauen einander nach einer gewissen Zeit immer in die Pfanne.»
«Liebe deinen Nächsten», sagte de Gier.
«Bist du religiös?»
«Nein.»
«Warum predigst du mir dann?»
De Gier berührte behutsam Cardozos Schulter. «Ich predige dir nicht. Liebe deinen Nächsten; das ist sinnvoll, nicht wahr? Selbst wenn es zufällig ein religiöses Gebot ist.»
«Aber wir lieben unsere Nächsten nicht», sagte Cardozo und trat wütend gegen einen Ballen Futterstoff, der runtergefallen war. «Wir beneiden unsere Nächsten, wir versuchen, ihnen etwas wegzunehmen, wir ärgern sie. Wir machen uns über sie lustig, wenn wir damit durchkommen, und wir bringen sie um, wenn sie sich unseren Forderungen nicht beugen wollen. Du kannst die Geschichte nicht widerlegen. Ich war zu jung für den letzten Krieg, aber ich habe die Dokumente gesehen und die Geschichten gehört und die Zahlen gesehen, die man Menschen auf den Arm gebrannt hat. Wir haben eine Armee, um sicherzustellen, daß sich die Nächsten jenseits der Grenze anständig benehmen, und wir haben eine Polizeitruppe, um sicherzustellen, daß wir uns selbst innerhalb der Grenzen anständig benehmen. Weißt du, wie es hier aussehen würde, wenn die Polizei nicht patrouillierte?»
«Hör auf, den Ballen zu treten», sagte de Gier. «Du verdirbst die Ware.»
«Ohne die Polizei wäre die Gesellschaft ein verrücktes Schlachtfeld, auf dem sich jeder ungestraft schlagen darf. Ich bin sicher, dem Zilver ist es scheißegal, ob wir den Mörder schnappen oder nicht, und falls nicht, hat er ein persönliches Interesse.»
«Rache beispielsweise», sagte de Gier.
«Auch Rache ist selbstsüchtig», sagte Cardozo, «aber ich dachte an Geld. Er wird wollen, daß wir jemand festnehmen, wenn er davon profitieren kann.»
«Du hast mit Grijpstra getrunken», sagte de Gier und half, den Ballen aufzuheben.
«Nein. Du. Gestern abend.»
De Gier machte ein beleidigtes Gesicht. «Gestern abend, lieber Freund, war ich zu Hause. Ich war nur einige Minuten mit Grijpstra in Nellies Bar, und die Hälfte der Zeit ging für ein Telefongespräch drauf. Er wollte mich nicht dabei haben, also ging ich. Auch Nellie wollte mich nicht dort haben.»
«Nellie?» fragte Cardozo.
De Gier erläuterte.
«Junge!» sagte Cardozo. «So große? Junge!»
«So große», sagte de Gier, «und Grijpstra wollte sie ganz allein für sich. Also bin ich gegangen. Ich habe zwei Nutten überprüft, die angeblich Bezuurs Alibi waren, und bin dann heimgegangen.»
«Bezuur?» fragte Cardozo. «Wer ist er? Ich soll dir und dem Adjudant helfen, aber keiner sagt mir was. Wer ist Bezuur?»
«Ein Freund von Abe Rogge.»
Cardozo stellte weitere Fragen, die de Gier erläuterte.
«Aha», sagte Cardozo. «Was ist mit den Callgirls? Sind sie die ganze Nacht bei ihm gewesen? »
«Das sagten sie jedenfalls.»
«Hast du ihnen geglaubt?»
«Laut Grijpstra lagen sechs leere Champagnerflaschen in
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