Ana Veloso
Geschäfte handelte? Und er hatte sein eigen Fleisch und
Blut verleugnet, weil der Junge schwarz und stumm war. Félix war sein letzter
lebender Sohn, und er hatte ihn ebenso verloren wie seinen einzigen Enkel.
Eine Woche später war Eduardo da Silva wieder
auf den Beinen. Seinen Zusammenbruch, der Familie und Freunde gleichermaßen
bestürzt hatte, hatte er dank João Henriques intensiver Pflege heil überstanden.
Bei der missa do sétimo dia, der Messe, die für Pedro in der Glória-Kirche
gehalten wurde, saß er zwischen Dona Alma und Vitória und wirkte nur ein wenig
unkonzentriert, sonst aber wie immer. Der Eindruck täuschte. Eduardo zwang sich
zur Selbstkontrolle. Am Tag der Beerdigung, als Félix ihm mit Verachtung in den
Augen seinen Enkelsohn unter die Nase gehalten hatte, war etwas in ihm
zerbrochen, das nie wieder heilen würde. Aber vielleicht würde eine
Europareise, wie Alma sie sich schon lange wünschte, ihn von seinem Kummer
kurieren. Er würde schweren Herzens Vitas Geld annehmen müssen.
Vitória saß am Rand der Holzbank, gleich vor der
Statue des heiligen Gonçalo, und war in die Abbildung auf den azulejos vertieft.
Die blau-weißen Kacheln bedeckten die Seitenwände der Kirche seit bald
zweihundert Jahren, als sie in Portugal maßgefertigt und dann auf einem
Segelschiff in die Kolonie gebracht worden waren. Vitória fand den Aufwand, den
die katholische Kirche seit jeher für die Verschönerung ihrer Gotteshäuser
betrieb, faszinierend und abstoßend zugleich. Sie forschte in ihrem unvollständigen
Bibelwissen nach einer Stelle, an der Harfenspielerinnen und herumtollende
nackte Putten vorkamen, wie sie sie über ihrer Schulter sah. Sollte das etwa
das Paradies sein? Es wirkte nicht sehr verlockend.
Als die Totenmesse beendet war, warteten Joana
und Vitória vor der Tür auf Eduardo und Dona Alma, die noch mit dem Pfarrer
sprachen.
Wahrscheinlich geben sie ihm wieder viel zu viel
Geld, dachte Vitória.
»Dieser geschwätzige Priester ist wirklich
schwer zu ertragen«, sagte Joana.
Vitória nickte.
»Pedro hätte das nicht gefallen. Er würde nicht
wollen, dass wir seinetwegen so oft in die Kirche rennen.«
Vitória wurde neugierig. Wollte Joana ihr
irgendetwas sagen? Brach sie endlich ihr selbst auferlegtes Schweigegelübde?
Seit Pedros Tod hatte Joana nur das Nötigste gesagt, war jedem Gespräch aus dem
Weg gegangen.
»Nein, ich glaube auch nicht, dass er das
gewollt hätte. Er war nie boshaft genug, um anderen Menschen Schlechtes zu wünschen.«
»Im Gegenteil«, sagte Joana. »Er scheint
geglaubt zu haben, er würde uns mit seinem Tod etwas Gutes tun.«
»Inwiefern?« Vitória hatte eine üble Vorahnung.
»Vorgestern kam ein Mensch von der Versicherung
vorbei. Ich fiel aus allen Wolken, Vita! Ob du es glaubst oder nicht, Pedro hat
eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen, in deren Genuss ich jetzt komme.«
»Du denkst, er hat sich umgebracht?«
»Ja«, flüsterte Joana.
»Und du denkst, er hat keinen Abschiedsbrief
hinterlassen, um es wie einen Unfall wirken zu lassen?«
»Ja.« Musste Vita immer alles so offen
aussprechen? Es war schon schlimm genug, wenn man es nur dachte. »Ja«, sagte
Joana, »ich glaube, dass ihn sein Stolz sein Leben gekostet hat.«
»Was soll das heißen?«
»Nachdem er von León erfahren hatte, dass du
hinter seiner Firma stehst, war er nicht mehr wiederzuerkennen. Du hast es ja
selbst gesehen, als wir bei euch waren. Er war in der Woche vor seinem Tod so
merkwürdig«, schluchzte sie, »und ich habe die Zeichen völlig falsch gedeutet!
Ich habe gedacht, dass er sich wieder beruhigt, dass er nur ein bisschen
Abwechslung braucht, dass die Arbeit in der Schiffsstauerei seine Nerven
ruiniert. Dabei hat er die ganze Zeit darüber nachgegrübelt, wie er es am
geschicktesten anstellt.« Joana brach in Tränen aus.
Das also war es gewesen! Nicht die Erpressung,
von der León ihr erzählt hatte und auf die sie mit demselben Unverständnis wie
er reagiert hatte, war der Grund für den abrupten Stimmungsumschwung gewesen.
Die Entdeckung ihres und Joanas kleinen Komplottes war es gewesen. Nein, nicht
die Entdeckung – Leóns Verrat ihres Geheimnisses!
»Beruhige dich doch, Joana. Ich glaube, dass du
ganz falsch liegst. Selbstmord ist eine schwere Sünde. Etwas so Unchristliches
würde Pedro niemals tun.«
Nachdem sie Joana in der Kutsche nach São Cristóvão
begleitet hatte, kam Vitória müde und vom Schweiß verklebt zu Hause an. Ihre
Eltern hatten
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