Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen
Safe genommen hatte – die Dokumente, die sein Vorgänger hinterlassen hatte. Stassow wusste, dass er sie früher oder später ohnehin würde durchsehen müssen, um sich ein umfassendes Bild von den Sicherheitsproblemen bei Sirius zu machen. Diese scheußliche, aber notwendige Arbeit durfte er nicht endlos aufschieben.
Ende September sollten fünf Leute von Sirius zum Filmfestival »Kinoschock« fahren, darum wählte Stassow drei dicke Ordner mit der Aufschrift: »Außerhalb«. Zwei davon trugen den Untertitel »Außenaufnahmen«, auf dem dritten stand »Festivals«. Stassow überlegte, dass es ganz gut wäre, sich zunächst die Festival-Mappe anzusehen, um zu erfahren, mit welchen Unannehmlichkeiten bei einem Festival möglicherweise zu rechnen war und welche Vorkehrungen man zur Gewährleistung der Sicherheit treffen sollte.
Sie gingen hinunter, gaben sich die Hand, stiegen in ihre Autos und fuhren nach Hause.
Als Stassow kurz nach zwölf seine Wohnungstür aufschloss, stellte er unwillig fest, dass Lilja gar nicht daran dachte zu schlafen. Sie lag im Bett, knabberte kandierte Erdnüsse und las mal wieder einen Liebesroman.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Stassow drohend, ging zu ihr und nahm ihr das Buch weg. »Wie soll ich das verstehen?«
»Ich gehe morgen nicht in die Schule«, erklärte Lilja seelenruhig. »Also kann ich noch länger lesen.«
»Du gehst morgen nicht in die Schule? Wieso das?« Stassow runzelte misstrauisch die Stirn, darauf gefasst, sie würde antworten »die Lehrerin ist krank« oder »morgen ist Altstoffsammlung«.
»Weil ich Angina habe.«
»Was? Wieso Angina?«, fragte Stassow verwirrt.
Er war jedes Mal schrecklich besorgt, wenn Lilja krank wurde. Er fürchtete immer, er könnte etwas verkehrt machen, ihr die falschen Medikamente geben, etwas durcheinander bringen und die Krankheit dadurch noch verschlimmern.
»Mir tut der Hals weh, er ist auch ganz rot, ich habe in den Spiegel gesehen«, erklärte Lilja sachlich. »Ich glaube, er ist sogar ein bisschen vereitert. Außerdem habe ich siebenunddreißigacht Fieber.«
»Aber da muss man doch etwas tun. Weißt du vielleicht, was Mama dir bei Angina immer gibt?«
»Natürlich. Papa, reg dich nicht auf, ich habe schon alles gemacht. Ich gurgele jede Stunde, nehme Paracetamol und esse Zitrone mit Zucker.«
Stassow betrachtete seine Tochter. Sie war wirklich ein wenig blass, in den Augen lag ein trockener Glanz, ihre Hände waren heiß und ein wenig feucht.
»Womit gurgelst du denn, wenn ich fragen darf? Ich habe doch gar nichts im Haus.«
»Mit Jod und Salz. Schmeckt ekelhaft, hilft aber.«
»Und woher hast du das Paracetamol?«
»Aus der Apotheke. Ich hatte heute Morgen schon Halsschmerzen, und als ich von der Schule gekommen bin, hab ich alles Nötige gekauft.«
Stassow schalt sich in Gedanken. Seine Tochter lag den ganzen Tag mit Fieber zu Hause, und er überließ sie einfach ihrem Schicksal. Zwar war sie fast vom Windelalter an gewöhnt, allein zu Hause zu sein, und ziemlich selbständig, aber das war keine Entschuldigung.
»Warum hast du mich nicht angerufen?«, fragte er Lilja verärgert. »Warum hast du nicht gleich gesagt, dass du krank bist?«
»Wozu?«
Ihre riesigen dunkelgrauen Augen, die sie auf den Vater richtete, spiegelten aufrichtige Verständnislosigkeit.
»Ich wäre hergekommen . . .«
»Wozu?«, wiederholte sie. »Vertraust du mir etwa nicht? Meinst du, ich weiß nicht allein, wie man eine Angina behandelt? Als ob das Wunder was wäre! Meine Güte!«
»Trotzdem.« Stassow blieb störrisch. »Ich hätte einen Arzt gerufen.«
»Was für einen Arzt?«, fragte Lilja erstaunt. »Ich bin doch bei Mama gemeldet, meine Poliklinik ist in Sokolniki. Die Ärzte aus deiner Poliklinik sind für mich nicht zuständig.«
Stassow verzog verärgert das Gesicht. Tatsächlich, das hatte er ganz vergessen, die Poliklinik hier in Tscherjo-muschki würde keinen Arzt zu Lilja schicken, sie war dort nicht registriert.
»Und die Schule? Die braucht doch eine Krankschreibung vom Arzt, sonst sieht es aus, als ob du schwänzt.«
»Meine Güte!«, sagte Lilja mit bezauberndem kindlichen Hochmut erneut. »Du schreibst ihnen einen Zettel, dass ich wirklich krank war, das genügt. Ich bin doch eine gute Schülerin, alle Lehrer wissen, dass ich nie einfach so fehle.«
Stassow machte sich das Abendessen warm, löschte das Licht in Liljas Zimmer und blätterte beim Essen in den mitgebrachten Aktenordnern. Hin und wieder stieß
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