Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen
ihr Gesicht vollkommen verhüllte, heruntergezogen. Korotkow öffnete die Beifahrertür und hupte.
»Grüß dich«, sagte Nastja erstaunt. »Ich hab gedacht, ich bin die Erste. Warum so früh? Kannst du nicht schlafen?«
»Ach, Liebste, mir ist so beklommen«, bestätigte Korotkow fröhlich, »mir will kein Schlummer kommen.«
»Au Backe!«
Nastja schlug die Kapuze zurück und stieg ins Auto.
»Manche Leute müssen doch dauernd demonstrieren, wie gebildet sie sind. Schön hier bei dir, warm und vollgequalmt. Paradiesisch.«
Sie holte eine Schachtel Mentholzigaretten aus der Handtasche und zündete sich genüsslich eine an.
»Wieder Ärger mit deiner Frau?«, fragte sie mitfühlend, während sie den Rauch ausstieß.
»Woher weißt du das?«
»Ganz einfach. Stassow hat um halb sieben bei dir angerufen, und du warst schon weg.«
»Was wollte er denn? Wir waren doch gestern bis kurz vor zwölf zusammen und haben eigentlich alles beredet.«
»Wir hatten heute offenbar alle drei eine schlaflose Nacht. Stassow hat einen gewissen Pawel Schalisko aufgetan, der Alina jahrelang verfolgt hat, und zwar allem Anschein nach ohne Erfolg. Ergebnis: Minus zwei, plus eins.«
»Bitte?«, fragte Jura stirnrunzelnd.
»Die beiden Damen fallen weg, dafür kommt ein Mann dazu. Macht also insgesamt vier Verdächtige: Charitonow, Imant und Inga Wasnis und perspektivisch noch ein erfolgloser Verehrer. Ich wette, auch Schalisko hat kein Alibi, dafür aber ein Motiv und die Gelegenheit gehabt.«
»Ist ja heiter . . .«
Untersuchungsführer Gmyrja erschien zwanzig vor acht und dachte gar nicht daran, sich für die Verspätung zu entschuldigen.
»Gehen wir«, quetschte er zwischen den Zähnen hervor, als er an Korotkows Auto vorbeikam.
Als sie mit dem Lift hinauffuhren, fragte er:
»Nehmen wir Zeugen dazu?«
»Wozu, Boris Vitaljewitsch? Wir suchen doch keine Indizien, sondern etwas, das dem Opfer gehört hat. Es spielt doch keine Rolle, wo wir das Tagebuch finden – falls überhaupt.«
»Wie du meinst«, sagte Gmyrja irgendwie spöttisch.
Der Untersuchungsführer war kein glühender Kämpfer für die buchstabengetreue Einhaltung der Gesetze und reduzierte prozessuale Feinheiten gern möglichst auf ein Minimum.
In Alinas Wohnung hatte nach dem Besuch der Miliz am Samstag niemand aufgeräumt, und nun wirkte sie wie ein geplündertes Nest. Besonders unangenehm war der Anblick des Sofas mit den Kreideumrissen des Opfers.
»Boris Vitaljewitsch, hat sich der Vater des Opfers gestern an Sie gewandt wegen der Wohnungsschlüssel?«, fragte Korotkow, während er sich im Flur gründlich die Schuhe abtrat. »Er möchte Sachen abholen und über die Wohnung verfügen.«
»Gestern nicht, nein. Also, wo wollen wir suchen?«
»Wir teilen uns auf«, schlug Nastja vor. »Zwei Zimmer und Küche, also jeder einen Raum. Und dann Bad, Toilette und Flur.«
Sie suchten lange und sorgfältig, aber leider ohne Erfolg. Sie fanden kein Tagebuch. Außer dem Tagebuch suchten sie ein weißes T-Shirt mit Knöpfen und einen bunten Rock. Das T-Shirt fand Nastja in der Waschmaschine, ein langer weiter Rock aus grünbunter Seide hing an einem Haken auf der Innenseite der Badezimmertür, ebenso wie ein warmer Frotteebademantel. Damit war der Verdacht gegen Charitonow im Grunde hinfällig. Um diese Kleidung zu beschreiben, musste er sie an Alina gesehen haben. Wenn er sie getötet hätte, als sie im Negligé war, und die Geschichte über den vorherigen Anruf und Besuch erfunden gewesen wäre, hätte er vermutlich den Kleiderschrank aufgemacht und etwas beschrieben, was darin hing. Sehr unwahrscheinlich, dass er in die Waschmaschine gesehen hätte.
Aber das Tagebuch . . . Sollte Nastja sich wirklich geirrt haben?
»Sag mal, hast du Smulow mal danach gefragt?«, fragte Korotkow leise, damit der Untersuchungsführer es nicht hörte.
»Hab ich.« Nastja seufzte. »Er sagt, er habe nie bemerkt, dass Alina ein Tagebuch geführt hätte. Aber dann hat er sofort eingeräumt, dass er möglicherweise bloß nichts davon wusste. Die Wasnis war derart verschlossen, dass sie sich auch ihm gegenüber nicht völlig geöffnet hat.«
»Der Arme.« Jura schüttelte den Kopf. »Er hatte es bestimmt schwer mit ihr. Er hat sie so geliebt und dabei die ganze Zeit gespürt, dass sie . . . ihm irgendwie fremd war. Auch die Stiefmutter sagt das von ihr.«
»Boris Vitaljewitsch«, rief Nastja laut. »Ich nehme die Videokassetten mit, ja?«
»Was willst du damit?«, fragte er,
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