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Anatomien

Anatomien

Titel: Anatomien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Aldersey-Williams
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Körper eines anderen einnistet, welche Rolle spielt dann das Geschlecht? Wird dessen Wahrnehmung ähnlich oder gleich sein? Schwer vorstellbar ist auch, was mit einem Menschen geschehen würde, der rückwärts durch die Zeit reist und das Aussehen und die Erinnerungen einer historischen Figur annimmt. Dieser Mensch ist dann wohl kaum jene historische Figur, denn immerhin könnte auch jeder andere an deren Platz gestellt worden sein. Solche Überlegungen sollen uns helfen zu entdecken, was uns eigentlich ausmacht, da wir offenbar weder eine Seele noch irgendetwas anderes besitzen, das unser „Selbst“ enthält. Einige Philosophen argumentieren, meiner Meinung nach recht unentschlossen, unsere Identität liege in jener Person, die uns vor einem Augenblick oder dem letzten Schritt am ähnlichsten gewesen sei. So formuliert es die „Closest continuer theory“. Gemessen an den brutalen menschlichen Dramen um angenommene und verwechselte Identitäten wirkt diese Erklärung recht schwach.
    Und sie hilft uns auch nicht, uns auf die Zukunft vorzubereiten.
    Im November 2005 erhielt die 38-jährige Französin Isabelle Dinoire das erste Gesichts-Transplantat. Ihr Hund hatte ihr Nase und Lippen abgefressen, während sie bewusstlos war, nachdem sie eineÜberdosis Drogen genommen hatte. Mehr als ein Dutzend ähnlicher Operationen wurden seitdem in Frankreich, Spanien, China und den USA durchgeführt. Die erste Transplantation eines vollständigen Gesichts fand im März 2010 in einem Krankenhaus in Barcelona statt. Empfänger war ein Bauer, der sich versehentlich ins Gesicht geschossen hatte. Ein Gesichtstransplantationsteam am Londoner Royal Free Hospital erhielt von der Ethikkommission die Erlaubnis, zu Testzwecken vier Transplantationen durchzuführen. Die erste soll stattfinden, sobald ein passendes Spender- und Empfängerpaar gefunden ist.
    In dem Krankenhaus bin ich zwar nicht mit Peter Butler verabredet, der das Team der 30 Chirurgen, Anästhesisten und Krankenschwestern leitet, aber mit Alex Clarke, der klinischen psychologischen Beraterin, die bei diesem spannenden Projekt mit ihm zusammenarbeiten wird. Sie soll im Vorhinein potenzielle Empfänger beraten, aber da Gesichtstransplantationen noch etwas relativ Neues sind, muss sie vor allem Menschen helfen, mit ihren Verstümmelungen klarzukommen.
    Oft sind wir es allerdings selbst, die Hilfe brauchen. „Die Gesellschaft hat ihre Schwierigkeiten mit Menschen, die nicht normal aussehen“, sagt sie. Alex hat früher mit der Wohltätigkeitsorganisation Changing Faces zusammengearbeitet, die sich für ein Ende der von ihr so genannten Gesichtsdiskriminierung einsetzt, von der entstellte Menschen betroffen sind. Entsprechende Vorurteile werden in der Populärkultur dadurch verstärkt, dass immer nur die Bösen Narben tragen. Changing Faces lehnt Gesichtstransplantationen als vermeintliches Allheilmittel ab. Wichtiger sei ein Einstellungswandel in der Gesellschaft. Das englische Royal College of Surgeons war zunächst ebenfalls dagegen und warnte vor dem großen Risiko, dass das neue Gewebe abgestoßen werde. Das College hat seine Position unter anderem als Reaktion auf den Dinoire-Fall verändert, zumal auch aus psychologischen Untersuchungen hervorgeht, dass die ethischen Hürden niedriger sind als bisher angenommen. Inzwischen spricht es sich eher für Gesichtstransplantationen aus, wobei es weiterhin vor der Gefahr eines Booms „desaströser“, von „unerfahrenen Teams“ durchgeführter Operationen warnt, wie es sie nach den ersten erfolgreichen Herztransplantationen in den 1960ern gab.
    Die ethische Dimension von Gesichtstransplantationen ist im Gegensatz zur medizinischen neuartig. Aus biomedizinischer Sicht ist eine Gesichtstransplantation dasselbe wie jede andere Transplantation. Krankes oder beschädigtes Empfängergewebe wird durch gesundes Spendergewebe ersetzt. Der Unterschied liegt in der Bedeutung, die wir dem Gesicht beimessen. Das Gesicht ist etwas Äußerliches, es ist gut sichtbar und für die Identifizierung eines Menschen entscheidend. Neben den Händen (die man früher für ein besseres Identitätsmerkmal hielt, weil sie im Gegensatz zum Gesicht ihren Ausdruck nicht verändern können) repräsentiert unser Gesicht uns besser als alles andere. Alex meint, das sei kein Problem. „Niemand schreibt uns vor, dass wir, was Hände und Gesicht angeht, zimperlich sein müssen. Problematisch erscheint die Operation nur, weil sie neu ist.“
    Alex macht sich

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