Angel 01 - Die Engel
Flasche zerbrechen: Das Klirren war gedämpft, als wäre das Glas in Stoff gewickelt. Sie roch Benzin. Beim Sturz war einer seiner Molotowcocktails zerplatzt. Sie war sich sicher, dass er in den Taschen dieses weiten Regenmantels noch mehr davon hatte.
Ihr Herz raste, und nackte Angst packte sie, als sie darauf wartete, dass er hinter dem Altar hervortrat. Dann kam ihr der Gedanke, dass Nethru zwar vielleicht nicht verletzt, aber durch die Heiligkeit des Gotteshauses in seiner Bewegung eingeschränkt war. Das Kruzifix, die Marienstatue, der heilige Boden, das ganze geweihte Umfeld – vielleicht waren das alles neutralisierende Einflüsse, die dem Dämon seine Kräfte raubten. Draußen, zwischen den Gräbern, gab es nur wenige starke heilige Symbole. Nur ein paar steinerne Engel, vereinzelte Steinkreuze. Nichts, das wirklich Kraft besaß. Aber hier drin gab es heilige Dinge, Weihwasser, heilige Bücher.
Das war das erste Mal gewesen, dass sie die Kreatur gesehen hatte, und sein dramatischer Auftritt hatte nicht gerade dazu beigetragen, ihre Ängste zu mindern. Sie hatte einen dunklen, schmalen Schatten gesehen, katzengleich, sehr beweglich, der durch das zerbrochene Kennedy-Fenster gesprungen und gebückt auf dem Boden gelandet war. Vanessa hasste Katzen. Ihre Augen starrten einem bis in die Seele, und sie grinsten über alle Sünden.
Gerade als sie sich zu fragen begann, ob der Sturz das Wesen vielleicht doch verletzt hatte, stand es auf, und sein blasses Gesicht wurde im Licht der Altarkerzen sichtbar. Vanessa duckte sich hastig wieder hinter den Pfeiler und umklammerte die 38er mit beiden Händen. Sie bot ein bisschen Trost – nicht viel, aber ein bisschen. Nach einer Weile riskierte Vanessa wieder einen Blick und sah, wie Nethru abfällig das Altarkreuz zur Seite stieß. So viel zu ihrer Idee, dass Geheiligtes ihm seine teuflische Stärke rauben könnte. Er sah sich in der Kathedrale um, und das Licht der Kerzen spiegelte sich in seinen dunklen Augen. Wieder duckte Vanessa sich weg.
An der Wand, an die sie schaute, flackerte ein Schatten. Sie zuckte zusammen. Er ging umher, doch sie konnte keine Schritte hören. Das machte ihr Angst. Auch wenn er direkt auf sie zukam, würde sie es nicht merken. Dann hörte sie, wie etwas umfiel –, ein Stapel Gesangbücher oder Bibeln – und wusste, dass er auf der anderen Seite des Mittelgangs sein musste.
Vanessa steckte die Waffe in die Tasche ihres dicken Wollrocks und schlich von einem Pfeiler zum nächsten. Sie hoffte, es so bis zum Altar zu schaffen, um sich dann dahinter zu verstecken. Dort war er schon gewesen, und er würde sich wahrscheinlich nicht die Mühe machen, noch einmal hinzugehen, selbst wenn er ahnen sollte, dass sie hier drin war.
» Ich kann dein Parfum riechen«, sagte eine Stimme.
Das ließ sie vor Angst erstarren. Seine Stimme war genauso, wie sie es sich vorgestellt hatte: rau, misstönend und gepresst.
» Ich weiß, dass du das bist. Ich habe dich schon einmal gerochen, als ich dir durch die Straßen gefolgt bin. Du hast ja keine Ahnung, wie nah du an diesem Tag deiner Vernichtung gekommen bist. Das musste ich mit einem anderen Tod kompensieren. Es war ein Mann, dünn, blass, mit schlechten Augen. Er hatte eine Brille, die bei verschiedenem Licht die Farbe gewechselt hat …«
Tom.
» … und er war bei dir gewesen. Ich habe dein Parfum an ihm gerochen. Ich habe mit meiner Hand sein Gesicht zerquetscht. Dann habe ich ihn in die Kanalisation geworfen. Inzwischen haben die Ratten ihn bestimmt aufgefressen.«
Er hatte Tom getötet, an dem Tag, als Tom versucht hatte, sie zu vergewaltigen. Der arme, dumme Tom. Er war ein Idiot gewesen, aber er hatte es nicht verdient zu sterben. Wozu erzählte der Dämon ihr das alles? Erwartete er, dass sie wild schreiend aus ihrem Versteck gerannt kam und Vergeltung für den Tod ihres Exmannes suchte? Das war möglich. Es war genauso gut möglich, dass er versuchte, sie mit einem – wie er meinte schlauen – Trick aus der Reserve zu locken. Ohne Zweifel hatte er inzwischen verinnerlicht, wie sehr die beiden Männer seine Zerstörung wünschten, weil er ihre Frauen umgebracht hatte. Warum sollte eine Frau nicht das Gleiche empfinden, wenn es um ihren Mann ging?
Nur, dass Tom nicht mehr ihr Mann gewesen war und sie sich bestimmt nicht um seines Andenkens willen verraten würde. Da hatte Nethru sich böse verrechnet, und wenn er solche Fehler machen konnte, hieß das, dass er verwundbar war. Es gab immer
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