Angel 01 - Die Engel
statt die Nacht in irgendeiner improvisierten Notunterkunft zu verbringen. Ich denke immer noch, dass es eine schreckliche Sache ist, trotz Ihrer … Ihrer Vorstellungen.«
» Weil Sie es noch nicht verstehen. Aber das werden Sie noch.«
» Und Sie verstehen es, nehme ich an? Ist Ihnen eigentlich klar, dass in diesem Feuer immer noch Menschen eingeschlossen sein müssen? Nicht alle werden es nach draußen geschafft haben. Es wird ein oder zwei Betrunkene geben und Obdachlose, die dem Ruf nicht folgen konnten.«
Sie nickte fröhlich. » Ihnen wird nichts passieren.«
» Sie scheinen sich da ziemlich sicher zu sein.«
Sie sah ihn wieder mit diesen dunklen Augen an. » Ich bin mir absolut sicher. Ah, das sieht doch nach einem Hotel aus. Es wird wahrscheinlich von allen möglichen dubiosen Gestalten frequentiert, aber sie werden ja wohl Zimmer haben. Möchten Sie, dass ich Ihnen eines besorge?«
Lloyd musterte kritisch das schäbig wirkende Hotel, das in einer Seitenstraße lag. Es nannte sich Majestic, und die eine Hälfte des Neonschildes leuchtete nicht mehr. Die andere knisterte so heftig, als würde sie jeden Moment explodieren. Der Eingangsbereich bestand nur aus einem schmalen Flur hinter einer normalen Haustür, es gab keine Lobby, kein Foyer. Als die Straße noch zu einem anständigen Wohngebiet gehört hatte, war es zweifelsohne ein normales Wohnhaus gewesen. Er fragte sich, ob die Bettwäsche müffeln oder es, noch schlimmer, Flöhe geben würde.
Aber hatte er denn eine Wahl? Am Morgen könnte er einige Freunde anrufen und sich nach etwas Besserem umsehen. Doch im Moment war er einfach nur zum Umfallen müde.
» Ja, vielen Dank. Ich werde Ihnen das Geld morgen zurückzahlen.«
Sie lächelte. » Wenn Sie unbedingt wollen.«
Sie gingen in das Hotel, wobei Lloyd sich in seiner Decke sehr nackt vorkam. An der Tür drehte er sich noch einmal um und warf einen letzten Blick auf die zerstörte Innenstadt.
» Da ist nichts mehr übrig«, murmelte er.
» Oh, doch«, widersprach die Frau. » Die Pynchon Conference Rooms. Unter und innerhalb dieser Lichtkuppel befinden sich die Führer der größten Weltreligionen und arbeiten immer noch auf ein gemeinsames Ziel hin.«
» Ach ja«, meinte Lloyd wütend. » Das haben wir teuer bezahlt – dieses Ding hat die Chance auf Einheit und Weltfrieden zerstört.«
» Sie verstehen nicht«, sie lächelte wieder. » Es ist gekommen, um das Treffen zu beschützen. Das war kein Meteor, das ist ein Erzengel.«
Er konnte sich nicht an seinen Namen erinnern.
Zuerst befürchtete der junge Mann, er würde wahnsinnig werden, aber schließlich erreichte die Orientierungslosigkeit einen Punkt, an dem er sich nicht mehr um Wahnsinn oder andere Gemütszustände kümmerte. Er spürte, dass sein Geist, seine gesamte Psyche langsam abgetragen wurde, aufgefressen von irgendeiner fremden Macht, die in seinen Körper eingedrungen war. Dieses Ding in ihm sprach mit ihm und versuchte, ihn in Diskussionen zu verwickeln.
Er war auf dem Friedhof in Highgate gewesen und hatte Fotos vom Grab von Karl Marx gemacht, von denen eines wahrscheinlich für einen Artikel über den Vater des Kommunismus benutzt werden würde. Die Sonnenstrahlen waren in einem ganz bestimmten Winkel auf den Marmor gefallen und hatten einen Glanz erzeugt, der all seine Fähigkeiten als Fotograf herausgefordert hatte.
Er mochte solche Schwierigkeiten. Sie gaben ihm das befriedigende Gefühl, weit gekommen zu sein, seit er mit Aufnahmen vom Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien seine Karriere begonnen hatte. Damals war Tim Page sein romantisches Vorbild gewesen, der als junger Mann in den Sechzigern nach Vietnam gegangen und verstört, aber begnadet zurückgekehrt war. Er stellte sich gerne vor, dass seine Erfahrungen denen von Page ähnlich waren.
Als er gerade eine verwinkelte Aufnahme aus südwestlicher Richtung geschossen hatte, schien plötzlich ein Schatten über den Grabstein zu fegen, und er spürte Kälte in sich aufsteigen. Der Schatten schien direkt aus einer Esche zu kommen, die in der Nähe stand. Normalerweise hätte ihn so etwas genervt, wenn er gerade ein Foto schoss, aber diese Sache machte ihm Angst.
Er kehrte sofort ins Studio zurück, mit dem Taxi, doch bereits unterwegs spürte er, wie etwas heimtückisch durch seinen Körper kroch wie ein bösartiges Geschwür.
Versuch nicht, gegen mich anzukämpfen, schien eine Stimme zu flüstern, du hast keine Chance.
Aber er versuchte trotzdem zu kämpfen
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