Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition)
„leiden“, ich lispele ein wenig. Nicht so schlimm, dass mir bei jedem S die Zunge zwischen die Zähne rutscht, aber so ein richtig scharfes S kommt nicht zustande. Bei Liedern wie „Mir doch egal“ oder „Sieben Zwerge“ war das ja ganz drollig, aber für eine ernsthafte Ballade wollte Lacky das nicht durchgehen lassen. So wurde ich zum berühmten Sprecherzieher Egon Aderhold geschickt. Er hat mir zumindest beigebracht, mit hoher Konzentration ein halbwegs scharfes S hinzubekommen. „Komm, weil ich Dich brauch“ wurde eines meiner wichtigsten Lieder. Musik und Text verlangten mir einiges ab und ich konnte zeigen, dass ich nicht nur die kleine, nette Interpretin origineller Lieder, sondern auch fähig war, großes Gefühl zu zeigen.
Dann schrieb mir Fred Gertz einen Text, der für mich ein Meilenstein in meiner Karriere werden sollte: „Kutte“. Erzählt wird die Geschichte einer Frau, die mit einem Trinker zusammenlebt. Für mich war das Lied so wichtig, weil ich das erste Mal im Berliner Dialekt gesungen habe. Das hat es, zumindest mit einem so ernsthaften Text, bisdahin noch nicht gegeben. Lacky verfasste dazu eine Musik, die es mir erlaubte, diesen Text sehr frei zu erzählen. Das Thema Alkoholismus war in der DDR wahrlich nicht unbekannt, wurde aber nicht so gern thematisiert. Während einer Veranstaltung, bei der ich mit meiner damaligen Band auftrat, schnitt der Rundfunk den Titel mit. Diese Aufnahme wurde in einer der Wertungssendungen des DDR-Rundfunks – heute nennt man das Charts – vorgestellt und landete auf Anhieb auf einem der vorderen Plätze. Dann nahm man das Lied seltsamerweise wieder aus der Wertung, mit der fadenscheinigen Begründung, dass es im Studio erst richtig produziert werden müsste. AMIGA brachte sogar eine Single davon heraus und ich habe es mehrmals im Fernsehen singen dürfen. In eine Wertungssendung schaffte es das Lied leider nie wieder. Ich glaube, man hat es auch selten im Rundfunk gespielt. Es war wohl zu realistisch.
Eine wunderbare späte Ehrung hat „Kutte“ 2011 erfahren: der Titel erschien auf der Sampler-CD „Funky Fräuleins Vol. 2“, und da finde ich mich wieder zwischen wirklich großen Kolleginnen wie Joy Fleming, Caterina Valente, Hildegard Knef u.a.
Lacky war zwar eigentlich mein Leibkomponist, aber es ergab sich auch eine sehr schöne Zusammenarbeit mit Franz Bartzsch. Er hatte für Veronika Fischer die wundervollsten Songs geschrieben und wir waren ziemlich gut befreundet. Wir haben viel gefeiert, in seiner Wohnung am Ostkreuz. Er spielte uns die neuesten Stevie-Wonder-Platten vor, und wenn Franz ein neues Lied aufgenommen hatte, durfte ich es hin und wieder als erste durchs Telefon hören. Irgendwann – wahrscheinlich war es auf Lackys Geburtstag – saß ich mit Franz am Flügel und wir probierten dies und das aus. Dabei entstand ganz nebenbei eine schöne Melodie, auf die Fred Gertz den zur feuchtfröhlichen Situation passenden Text schrieb: „Versuch’sdoch mal mit Champagner“, das „Champuslied“. Champagner gab es zwar in der DDR nicht zu kaufen, aber das war uns egal. Wir ahnten ja ungefähr, wie er schmecken müsste, denn Sekt kannten wir zur Genüge. Und den Herrschaften vom Rundfunklektorat fiel das auch nicht weiter auf. Das Lied wurde ein großer Hit. Singe ich es heute auf meinen Konzerten, singt mein Publikum mit.
Wenn ich meinen Kalender von 1975 durchforste, finde ich kaum einen freien Tag. Wir waren ständig auf Tour. In Berlin ging es zu Aufnahmen in die Studios von AMIGA, zum Rundfunk oder nach Babelsberg, denn Lacky komponierte nach wie vor auch für andere Künstler oder schrieb Filmmusiken. Ich war nun auch als Solistin gefragt und gab Interviews im Radio oder trat mit anderen Bands auf. Zum Radio ging ich besonders gern. Dort gab es eine Menge netter und sehr kompetenter Musikredakteure. Am liebsten mochte ich Wolfgang „Wölfi“ Martin von „Stimme der DDR“. Der hatte wirklich viel Ahnung und war ein sehr guter Interviewer. Wir haben viele Sendungen zusammen gemacht, und da ich durch meinen Bruder Ecki immer an die neuesten West-LPs herankam, waren die durchsetzt mit Songs, die es bei uns nicht zu kaufen gab. So habe ich mithilfe meines „abtrünnigen“ Bruders den Rundfunk der DDR mit Feindesmusik unterwandert. An die Westplatten zu kommen, war ein gefährliches Unterfangen. Selbst reine Instrumental-Aufnahmen wurden von den Grenzorganen konfisziert. So traf ich mich einmal eigentlich sehr leichtsinnig
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