Angelique Der Gefangene von Notre Dame
erkennen, da er halb ohnmächtig war.«
»Leidet er sehr? Ist er verzweifelt?«
»Er ist sehr tapfer, obwohl sein Körper sehr geschwächt ist und er nahezu dreiÃig Verhöre über sich ergehen lassen musste.«
Nachdem Desgrez eine Weile nachdenklich vor sich hin geschaut hatte, fuhr er fort: »Soll ich Euch gestehen, dass
mich sein ÃuÃeres vom ersten Moment an sehr getroffen hat? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Ihr die Gemahlin dieses Mannes sein solltet. Doch sobald wir ein paar Worte miteinander gewechselt hatten und er seinen leuchtenden Blick auf mich richtete, habe ich verstanden... welche Faszination er auf seine Umgebung ausübt. Und ich beginne sogar zu ahnen, was der wahre geheime Grund für seine Verhaftung gewesen ist.«
Desgrez senkte die Stimme und sprach stockend weiter, als schrecke er selbst vor seiner Entdeckung zurück.
»Durch all seine Talente, durch alles, was er ist, verkörpert er eine gegensätzliche Kraft ... Deshalb soll er verschwinden... und... Ihr auch .«
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»O Joffrey... mein Geliebter«, sagte Angélique leise, und sie musste alle Kräfte aufbieten, um nicht in Tränen auszubrechen.
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»Jetzt sehen wir klarer«, sagte der ehrwürdige Pater de Sancé, nachdem ihn der Advokat über seine letzten Schritte informiert hatte. »Was meint Ihr, Maître, wird sich die Anklage auf die vermeintliche Hexerei beschränken und sich dazu auf das von Bécher verfasste Protokoll stützen?«
»Davon bin ich überzeugt, denn die wenigen Gerüchte, die über den angeblichen Verrat des Grafen de Peyrac gestreut wurden, haben sich rasch als haltlos erwiesen. Man wird also notgedrungen zur ersten Beschuldigung zurückkehren: Dieses weltliche Gericht wird über einen Hexenmeister urteilen.«
»Sehr gut. Zum einen müssen wir also die Richter davon überzeugen, dass bei den Arbeiten, denen sich mein Schwager widmete, nichts Ãbernatürliches im Spiel war. Dazu müsst Ihr die Aussagen seiner Bergleute beibringen. Und zum anderen müssen wir beweisen, dass der Exorzismus, auf den sich die Anklage zu stützen glaubt, wertlos ist.«
»Die Richter sind alle sehr religiös. Wir hätten also schon gewonnen,
wenn wir sie davon überzeugen könnten, dass die Prüfung nicht rechtens war.«
»Dann werden wir Euch helfen, das zu beweisen.«
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Raymond de Sancé schlug mit der flachen Hand auf den Tisch im Besucherzimmer und wandte dem Advokaten sein fein geschnittenes, dunkles Gesicht zu. In dieser Geste und den halb geschlossenen Augen lebte plötzlich der alte GroÃvater de Ridoué wieder auf. Jedes Mal, wenn Angélique diese Ãhnlichkeit auffiel, durchströmte sie ein Glücksgefühl, und sie spürte, wie sich der schützende Schatten von Monteloup über ihre bedrohte Familie breitete.
»Denn es gibt da etwas, das Ihr nicht wisst, Maître Desgrez«, erklärte der Jesuit mit fester Stimme, »genauso wie viele französische Kirchenfürsten, deren religiöse Bildung zugegebenermaÃen oft noch beschränkter ist als die eines einfachen Landpfarrers. Ihr müsst wissen, dass es in ganz Frankreich nur einen einzigen Mann gibt, der vom Papst bevollmächtigt wurde, Fälle von Besessenheit und dem Wirken des Satans zu prüfen. Dieser Mann gehört zur Gesellschaft Jesu. Erst nach einem langen, besonnenen Leben und langwierigen, ernsten Studien wurde ihm von seiner Heiligkeit dem Papst das gefährliche Privileg verliehen, mit dem Herrscher der Finsternis von Angesicht zu Angesicht Zwiesprache zu halten. Maître Desgrez, ich bin überzeugt, dass es die Richter in gehörige Verwirrung stürzen wird, wenn Ihr ihnen mitteilt, dass nur ein vom ehrwürdigen Pater Kiher, dem GroÃexorzisten Frankreichs, unterzeichnetes Exorzismusprotokoll in den Augen der Kirche Bestand hat.«
»Natürlich«, rief Desgrez aufgeregt. »Ich will Euch gestehen, dass ich so etwas bereits geahnt habe. Aber dieser Bécher hat ein teuflisches Geschick bewiesen. Es ist ihm gelungen, sich von Kardinal de Gondi, dem Erzbischof von Paris, bevollmächtigen zu lassen. Ich werde diese Verletzung des Kirchenrechts öffentlich
machen!«, rief der Advokat, der sich bereits vor Gericht wähnte. »Ich werde die Priester anprangern, die über keinerlei Berechtigung für ihr Tun verfügten und durch einen
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