Angelique Der Gefangene von Notre Dame
zu verfügen. Ihr seid also, Euren eigenen Worten zufolge, in der Lage, einen Menschen zu töten, ohne dass irgendjemand Euch mit seinem Tod in Verbindung bringt oder auch nur etwas Verdächtiges an diesem Dahinscheiden bemerkt. Wer garantiert uns denn, dass Ihr dergleichen nicht schon getan habt?«
»Das müsstet Ihr beweisen!«
»Euch werden ebenfalls zwei verdächtige Todesfälle zur Last gelegt, wenn auch nicht als Hauptanklagepunkte: Der erste ist der Tod des Neffen von Monseigneur de Fontenac, dem Erzbischof von Toulouse.«
»Gilt ein Duell im Anschluss an eine Provokation und vor Zeugen mittlerweile als Hexerei...?«
»Monsieur de Peyrac, ich fordere Euch auf, von Eurer ironischen Haltung gegenüber diesem Gericht Abstand zu nehmen. Wir versuchen lediglich, der Wahrheit auf den Grund zu kommen. Der zweite Todesfall, den man Euch anlastet, soll entweder auf Eure unsichtbaren Gifte oder auf Eure Hexenkünste im eigentlichen Sinne zurückzuführen sein. Denn bei dem wieder
ausgegrabenen Leichnam einer Eurer früheren Mätressen hat man in Gegenwart von Zeugen dieses Medaillon entdeckt, das Euer Brustbild enthält. Erkennt Ihr es wieder?«
Angélique sah, wie der Vorsitzende einem Schweizer einen kleinen Gegenstand reichte. Dieser zeigte ihn dem Grafen de Peyrac, der immer noch auf seine zwei Krücken gestützt vor dem niedrigen Bänkchen stand.
»Ja, ich erkenne die Miniatur wieder, die dieses arme überspannte Mädchen von mir hat anfertigen lassen.«
»Dieses arme überspannte Mädchen, wie Ihr sie nennt, war eine Eurer zahlreichen Mätressen, Mademoiselle de...«
Joffrey de Peyrac hob gebieterisch die Hand. »Bitte, entweiht nicht in aller Ãffentlichkeit diesen Namen, Monsieur. Die Ãrmste ist tot!«
»Sie starb nach einem langen Siechtum, und allmählich regt sich der Verdacht, dass Ihr der Auslöser dafür gewesen seid und ihre Krankheit durch Hexerei hervorgerufen habt.«
»Das stimmt nicht.«
»Warum hat man dann Euer Medaillon im Mund der Toten gefunden, das an der Stelle des Herzens ein Loch aufwies, als sei es mit einer Nadel durchstochen worden?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung. Aber sie war sehr abergläubisch, und nach allem, was Ihr mir darüber erzählt, würde ich eher vermuten, dass sie selbst es war, die versucht hat, mich auf diese Weise mit einem Bann zu belegen. So werde ich vom Hexer zum Behexten. Ist das nicht komisch, Monsieur?«
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Und plötzlich bemerkten die Zuschauer, dass dieses groÃe, auf seinen Krücken schwankende Gespenst aus vollem Herzen lachte.
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Nach kurzem Stocken entspannte sich das Publikum, und hier und da ertönte vereinzeltes Gelächter. Doch Masseneaus Stirn glättete sich nicht.
»Angeklagter, wisst Ihr etwa nicht, dass das Auffinden eines Medaillons im Mund einer Toten ein untrügliches Zeichen dafür ist, dass sie behext wurde?«
»Wie ich sehe, bin ich in Fragen des Aberglaubens sehr viel weniger bewandert als Ihr, Vorsitzender.«
Der Richter überhörte die Andeutung.
»Dann schwört, dass Ihr niemals Hexerei betrieben habt.«
»Ich schwöre beim Leben meiner Frau, meines Kindes und des Königs, dass ich meine Zeit niemals mit solchem Unsinn vergeudet habe, zumindest nicht mit dem, was man in diesem Land darunter versteht.«
»Erläutert die Einschränkung, mit der Ihr Euren Eid versehen habt.«
»Ich will damit sagen, dass ich während meiner Reisen nach China und Indien Zeuge seltsamer Phänomene geworden bin, die beweisen, dass Magie und Hexerei tatsächlich existieren, auch wenn sie nicht das Geringste mit den Scharlatanereien zu tun haben, die in den europäischen Ländern üblicherweise unter diesem Namen praktiziert werden.«
»Dann gebt Ihr also zu, dass Ihr daran glaubt?«
»An echte Hexerei, ja. Obwohl auch diese eine Vielzahl natürlicher Phänomene umfasst, für die die künftigen Jahrhunderte sicherlich Erklärungen finden werden. Aber wenn es darum geht, dümmlich einfachen Jahrmarktsschaustellern oder angeblich gelehrten Alchemisten zu folgen...«
»Da kommt Ihr ja schon selbst auf die Alchemie zu sprechen! Euren Worten zufolge gibt es also, genau wie bei der Hexerei, die echte und die falsche Alchemie?«
»So ist es. Einige Araber und Spanier beginnen die wahre Alchemie mit einem eigenen Namen zu bezeichnen, der
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