ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
dass es sie nach so etwas dürsten könnte, machte ihr Angst. Jeder hatte seine dunkle Seite, aber ihre schien jetzt so nah an der Oberfläche. Das machte ihr zu schaffen.
Aber Brian brauste davon, bevor sie ihm etwas antun konnten. Bevor er ihnen entkam, hatten die Kids das Schild abgerissen und zerfetzt, deswegen war er sicherlich immer noch ahnungslos, was dieser Angriff auf seinen Wagen zu bedeuten hatte.
Aber sie hatte festgestellt, dass er mittlerweile einen Umweg nach Hause machte und dieses Viertel mied.
»Im Nachhinein wirkt das ziemlich kindisch«, sagte Lisl und machte sich erneut Gedanken über diese dunkle Seite, die sie in sich entdeckt hatte.
»Das liegt daran, dass die Sache ihren Zweck erfüllt hat. Diese Streiche haben dir gezeigt, dass die ganze Macht nicht bei ihm liegt, sondern dass auch du Macht über ihn haben kannst. Du kannst ihm das Leben zur Hölle machen, wenn du das willst, und du kannst ihn zufrieden lassen, wenn du das willst. Wenn du es willst – das ist die Lektion. Und jetzt, wo du das gelernt hast, können wir uns mit anderen Dingen beschäftigen. Dr. Callahan kann derweil weiter nachts wach im Bett liegen und sich überlegen, wer dahintersteckt, warum und was als Nächstes kommt.«
»Ich will nicht, dass es Ev auch so geht.«
»Keine Angst. Wir werden Professor Sanders nur ein wenig ausspionieren. Das ist alles. Wir wollen nur sehen, wie er tickt.«
»Nicht mehr. Versprichst du das?«
»Ich brauche nicht mehr, um dir zu beweisen, dass er ein Blender ist.«
»Du irrst dich dieses Mal, Rafe. Ev ist einer von den Leuten, die genau das sind, was sie zu sein scheinen.«
»Die das sind, was sie zu sein scheinen? Solche Leute gibt es nicht. Und das werde ich dir heute Nacht beweisen, wenn wir seine Wohnung durchsuchen.«
Lisl wurde flau im Magen. War das nicht Einbruch? Und ging das nicht zu weit? Aber sie konnte nicht zurück. Nicht jetzt. Sie konnte Rafes Theorie über Ev nicht unwidersprochen lassen. Sie wusste, er lag falsch.
»Das können wir nicht tun. Nicht – nicht, wenn er da ist.«
»Er wird nicht da sein. Es ist Mittwoch. Er geht jeden Mittwoch aus.«
»Tatsächlich?« Sie konnte sich kaum vorstellen, dass Ev überhaupt ausging. »Wohin?«
»Weiß ich nicht. Vielleicht folgen wir ihm irgendwann mal. Aber heute Abend machen wir uns seine unverbrüchliche Routine zunutze und sehen uns seine Höhle an und finden heraus, wie er tickt.«
»Ist das fair, Rafe?«
Er lachte. »Fair? Was hat das mit fair zu tun? Das ist ein Schmarotzer, der sich als Prim ausgibt. Wir müssen die Dinge richtigstellen.«
»Warum müssen wir …?«
»Genau genommen«, fuhr Rafe fort und begann im Büro hin und her zu tigern und die Luft mit der Hand zu durchschlagen, »habe ich den Verdacht, dass Doktor Everett Sanders schwul ist.«
»Ach komm schon, Rafe.«
»Nein. Ich meine das ernst. Ich meine – sieh dir nur seinen Namen an – Ev. Welcher normale Mann lässt sich schon Ev nennen? Das ist weibisch. Und er ist so zimperlich, so pingelig und akkurat. Wie eine alte Jungfer. Hast du ihn je zusammen mit einer Frau gesehen?«
»Nein. Aber ich habe ihn auch noch nie zusammen mit einem Mann gesehen. Vielleicht ist er einfach nur asexuell.«
»Vielleicht. Aber er verbirgt etwas, darauf kannst du wetten. Hast du seinen Lebenslauf gesehen?«
»Nein. Wieso sollte ich …?«
»Da fehlen zehn Jahre. Er hat seinen Abschluss cum laude an der Emory Universität gemacht, hat ein paar Jahre gearbeitet, vor ungefähr zehn Jahren hat er ein Doktorandenstudium absolviert, seinen Doktor gemacht und kam dann hier nach Darnell.«
»Und was stimmt daran nicht? Viele Leute arbeiten erst mal ein paar Jahre in der Wirtschaft, bevor sie ihren Doktor machen.«
»Stimmt. Aber in seinem Lebenslauf gibt es einen weißen Fleck über zehn Jahre.«
»Zehn Jahre?«
Rafe nickte und legte ihr beide Hände auf die Schultern, wobei seine Finger ihren Halsansatz streiften und eine lustvolle Gänsehaut erzeugten.
»Als sei er komplett von der Erde verschwunden. Er verrät niemandem, was er in diesen Jahren gemacht hat, was bedeutet, dass er etwas verbirgt. Und wir werden herausfinden, was das ist.«
Er begann die verspannten Muskeln in ihrem Nacken und ihren Schultern zu massieren, die sich auf magische Weise entspannten. Sie schloss die Augen und genoss das besänftigende Gefühl. Wie immer sorgte Rafes Berührung dafür, dass ihre Zweifel schwanden, ihre Ängste vergingen. Es gab nichts Wichtigeres mehr, als
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