Angst sei dein Begleiter: Thriller (German Edition)
Papiere über den Tisch zurück. »Sie sehen meinen Puppen nicht einmal ähnlich.« Ihr war klar, dass sie nach jedem Strohhalm griff, aber sie brauchte etwas, irgendetwas, das sie von all dem Grauen ablenkte.
»Aber sie sahen ihnen ähnlich, als der Mörder mit ihnen fertig war«, sagte Jennifer barsch.
Tyler zögerte einen Augenblick, dann entnahm er einer Akte ein weiteres Foto und legte es Annalise vor. Sie schnappte nach Luft beim Anblick des Fotos von Kerry Albright. Sie war in eine Puppenbraut verwandelt worden. Nicht nur das Kleid war eine erstaunlich ähnliche Nachbildung, auch die Frisur der Frau war praktisch identisch mit den Locken der Puppe, ebenso das Make-up, das ihre Aufmachung unterstrich.
Bevor Annalise wirklich begreifen konnte, was sie da sah, lag schon ein anderes Foto vor ihr. Auf Margies Führerscheinfoto trug sie das Haar noch schulterlang und glatt. Auf dem zweiten Foto war sie wie die Flapper-Fanny gekleidet, und ihr Haar war entsprechend gekürzt worden und lockte sich.
Tyler wollte ihr ein drittes Foto vorlegen, doch sie hob abwehrend die Hand. Tränen trübten ihren Blick. »Bitte, lass es genug sein.« Die Vorstellung, dass diese Frauen ihrer Puppen wegen hatten sterben müssen, erschütterte sie zutiefst.
Sie war dankbar, als Tyler ihr einen Moment Zeit ließ, um sich zu fassen.
»Okay, fangen wir von vorn an«, sagte er und holte einen Block aus der Aktentasche. »Wann genau hast du die erste Puppe bekommen?«
Annalise gab das Datum und die ungefähre Uhrzeit der drei Puppenlieferungen an. Tyler machte sich Notizen, und Jennifer hörte nicht auf, Annalise mit kühlem Blick zu mustern. Es war verrückt – Annalise war sich keiner Schuld bewusst, und doch gab Jennifers Verhalten ihr das Gefühl, schuldig zu sein.
»Wir brauchen eine Liste von allen Angestellten«, sagte Tyler jetzt.
»Du glaubst doch wohl nicht, dass einer von meinen Leuten der Täter ist?«, protestierte sie.
»An diesem Punkt der Ermittlungen ist jeder verdächtig«, bemerkte Jennifer. Sie stand auf und schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein. »Besitzen Sie eine Liste der Leute, die Ihre Puppen gekauft haben?«
»Ich habe eine Adresskartei, aber die kann man weiß Gott nicht als vollständige Liste von Käufern bezeichnen«, sagte sie. »Meine Mutter hatte sie noch nicht geführt, als sie in die Branche einstieg. Erst ein paar Jahre vor ihrem Tod hat sie angefangen, die Namen und Adressen von Kunden aufzuzeichnen. Jeder, der in den Laden kam, konnte sich in unseren Verteiler aufnehmen lassen, ob er etwas kaufte oder nicht. Es sind mehr als sechstausend Namen.«
Jennifer pfiff leise durch die Zähne. »Lässt sich irgendwie nachverfolgen, wer diese drei Puppen gekauft haben könnte?«
Annalise schüttelte den Kopf. »Es kann nicht mehr jeder einzelne Verkauf nachvollzogen werden, ich habe nur Informationen über die Kunden aus unserem Verteiler.«
»Das sind aber nicht die Namen sämtlicher Kunden, oder?«, fragte Tyler.
»Genau. So ziemlich jeder, der jemals einen Scheck für einen Kauf ausgestellt hat, ist im System verzeichnet, aber Bar- und Kreditkartenzahlungen werden nicht zwangsläufig vermerkt. Einige Kunden wollten gern in den Verteiler aufgenommen werden, andere nicht.«
Und so verging die Nacht, mit Fragen über Fragen zu ihren Angestellten, zu ihren Kunden und zu allen möglichen Menschen, die einen Platz in ihrem Leben hatten.
Sie fuhr ihren Computer hoch und druckte die Personalakten und die Kundendaten aus, bevor sie ihnen erklärte, dass alles, was mehr als zehn Jahre zurücklag, nicht im Computer erfasst war, sondern in Kisten im ersten Stock lagerte.
Gegen halb drei Uhr morgens hatte Annalise das Gefühl, keine einzige Frage mehr beantworten zu können. Ihre Kopfschmerzen waren wieder stärker geworden, doch die Erschöpfung, die sie quälte, war nicht körperlich, sondern vielmehr eine Art von seelischer Müdigkeit.
Jennifer verkündete schließlich, dass die Arbeit vorerst beendet war. »Hier erreichen wir heute Nacht nichts mehr«, sagte sie und stand auf. »Wir sollten lieber schlafen gehen und morgen weitermachen.«
»Ich bringe sie hinaus«, sagte Tyler zu Annalise. Als er und Jennifer den Raum verließen, schaltete Annalise im Wohnzimmer das Licht aus und ging zum Fenster, um hinauszusehen.
Heiße Tränen der Erschöpfung brannten in ihren Augen. Irgendwo da draußen zerstörte ein Perverser ihr Lebenswerk und das Lebenswerk ihrer Mutter.
Wer tat so etwas? Und warum?
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