Angst vor dem Blutbiss
Wildwasser schäumte.«
»Das stimmt.«
»Gut, gehen wir noch einen Schritt weiter, der sie vielleicht beruhigen wird. Normalerweise ist es unmöglich, daß dieser Blutsauger überlebt hat, denn schnell fließendes Wasser ist für einen Untoten absolut vernichtend. Wenn er hineingefallen ist, und davon muß man ja ausgehen, brauchen Sie sich wirklich keine Sorgen zu machen. Er kann nicht überlebt haben. Sein Körper wird zerschmettert worden sein, und den anschließenden Rest hat dann das fließende Wasser besorgt. Da können Sie ganz beruhigt sein, Mr. Carrigan. Ich sage das aus Erfahrung.«
Er war noch skeptisch. »Meinen Sie wirklich?«
»Ja.«
»Gut, dann hören Sie sich bitte den zweiten Teil meiner Geschichte an, der in der Gegenwart spielt.«
Aha, dachte ich, das ist der Haken. Das dicke Ende, das eigentlich immer nachkommt. Es hätte mich auch gewundert, daß mich ein Mann wie Carrigan, erfolgsverwöhnt und knallhart, wegen einer derartig lang zurückliegenden Sache herbemüht hätte. Als ich ihn nun anblickte, da geschah es mit anderen Augen, und ich sah auch etwas, denn in seinen Blick hatte sich eine nicht zu übersehende Furcht gestohlen. Dieser Mann stand unter Druck, Angst, Streß, wie auch immer.
»Möchten Sie auch einen Whisky, Mr. Sinclair?«
»Das ist nett, aber nicht so früh am Morgen.«
»Ich brauche einen.«
Er stand auf, goß sich einen Doppelten ein und kehrte mit dem Glas in der Hand zurück, nahm wieder seinen Platz ein und begann mit dem zweiten Teil seiner Erklärung, fing aber mit einem Ereignis aus der Vergangenheit an, das er noch einmal wiederholte. »Ich hatte Ihnen von unserem Musketier-Schwur berichtet, nicht wahr?«
»Ich habe es nicht vergessen.«
»So seltsam es klingen mag, aber wir haben den Schwur eingehalten, auch über die langen Jahre hinweg. Wir sind in der betreffenden Nacht zu echten Freunden zusammengewachsen. Wir haben uns immer gegenseitig besucht, wir haben uns geschrieben, wir haben uns getroffen und gefeiert, und wie es der Zufall wollte, haben wir auch im selben Jahr geheiratet und sind zur gleichen Zeit Väter geworden.«
»Das ist wirklich ungewöhnlich.«
»Ja, wie ich es Ihnen sage.« Er trank von seinem Whisky. »Claudio Melli, den wir den Nudelprinz nannten, ist seinem Beruf treu geblieben. Er sitzt in Mailand und ist inzwischen zu einem Nudelkönig geworden, denn er hat das Erbe seines Vaters übernommen und expandiert. Herbert Lagemann, der Deutsche, hat ebenfalls Karriere gemacht. Er war schon immer der beste Naturwissenschaftler von uns. Er hat eine Firma gegründet, die sich auf Steuerungssysteme spezialisiert hat, und er beliefert die halbe Welt, bis hin zur NASA. Meinen Weg kennen Sie ja, und es brauchte keiner dem anderen finanziell unter die Arme zu greifen, das stand schon mal fest.« Er stellte sein leeres Glas ab. »Die Zeiten in diesem Internat sind uns unvergeßlich geblieben, und erinnern Sie sich bitte daran, daß ich von den Kindern sprach, die unsere Frauen bekommen hatten. Es sind drei Töchter gewesen, Töchter im gleichen Alter. Da gibt es eine Marisa Melli, da gibt es eine Katja Lagemann, und da gibt es eine Susan Carrigan. Von ihren anderen jüngeren Geschwistern brauchen wir jetzt nicht zu reden, konzentrieren wir uns lieber auf die drei Töchter, die sich wunderbar verstehen und in ihrer kleinen Welt Europa zu dem gemacht haben, was sich fortschrittliche Politiker eigentlich als Ziel setzten. Und sie verstehen sich deshalb so gut, weil sie in eine Klasse gehen, diese jetzt fast zwanzigjährigen jungen Damen.«
»In das Schweizer Internat.«
»Ja, Mr. Sinclair, genau dort. Wo auch ihre Väter waren und noch härtere Regeln herrschten. Es ist noch nicht beendet.«
»Ich dachte es mir, denn im zweiten Teil Ihrer Erklärungen vermißte ich den Vampir.«
Er verzog säuerlich den Mund. »Das stimmt, und nun komme ich endlich zu dem Grund, weshalb ich Sir James angerufen habe. Ich bin mir nämlich nicht mehr sicher, daß der Vampir durch uns damals vernichtet worden ist.«
»Eine Frage zuvor.«
»Bitte.«
»Kennen die drei Mädchen die Sache, die Ihnen widerfahren ist, Mr. Carrigan?«
»Nein, darüber haben wir nie gesprochen.«
»Gut, dann sprechen Sie weiter, bitte.«
»Es gibt ihn noch«, sagte Paul Carrigan mit einer Stimme, in der Verzweiflung mitschwang. »Den Vampir.«
»Ja.«
Er hob die Schultern. »Sie sind Polizist, Mr. Sinclair, ich bin es nicht, aber ich weiß genau, daß Polizisten immer nach
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