Angst vor dem Blutbiss
liegend, deren Haare hin und wieder von einer Windbö erwischt wurden und in die Höhe wehten wie ein Schleier. Ein herrliches Gefühl!
Ja, auch er konnte fühlen. Es war wundersam, wie auf Flügeln dem Ziel entgegenzuschweben, begleitet von den Schatten der Bergflanken, die ihm immer wieder Deckung gaben.
Rechts von ihm lauerte die Schlucht. Nichts hatte sich im Gegensatz zu früher verändert. Noch immer tobte das Wildwasser über den Grund, noch immer flog das Rauschen an den kahlen Wänden hoch wie der Gesang irgendwelcher Meereswesen, die es im Ozean nicht ausgehalten und in den Bergen Zuflucht gesucht hatten. Er ging.
Er floh, und er hörte die Stimme seines Opfers, die Sätze stammelte, die er nicht verstand, obwohl er der Person eine Antwort gab. »Gleich sind wir am Ziel, meine Braut. Gleich sind wir da. Dann wirst du sehen können, wo sich auch dein Vater aufgehalten hat. Es dauert nicht mehr lange, nur noch einen Moment…«
Susan hatte alles mitbekommen. Sie befand sich in einem Zustand zwischen Wachsein und Lethargie. Sie wußte auch, daß von ihrem Vater gesprochen worden war, aber sie schaffte es nicht, zwischen ihm, dem Blutsauger, und sich selbst einen Zusammenhang herzustellen. Das waren drei verschiedene Dinge, die sie einfach im Raum schweben ließ.
Susan hörte auch die Tritte des anderen. Klangen sie weich und dumpf, bewegten sie sich über einen Grasboden hinweg. Klangen sie aber hart und waren zudem noch von einem Echo begleitet, dann wußte sie, daß sie über Steine hinwegliefen.
Und dieses Geräusch blieb auch bis zum Ziel.
Das harte Knirschen, manchmal die hell klingenden Echos, und der plötzliche Stopp.
Anhalten. Abwarten…
Sekunden später, das vorsichtige Gehen, die Schwenke nach links und rechts, wobei Susans nach unten gesunkener Kopf diese Bewegungen mitmachte und sie wegen ihrer weit geöffneten Augen zum erstenmal erkennen konnte, in welch einer Umgebung sie sich befanden.
Steine, die mal gerade, mal schief aus dem Boden ragten. Sie waren zumeist flach und alle uralt. Manche wiesen Risse auf.
Sie hörte das Rauschen des Wassers sehr deutlich. Also bewegten sie sich nahe an der Schlucht entlang, und sie wußte plötzlich wieder, daß sich auch ein kleiner Bergfriedhof dort befand.
Deshalb die Steine.
Gräber…
Sie waren auf dem Friedhof angelangt, und der Blutsauger drehte sich noch einmal scharf um, bevor er sie behutsam zu Boden sinken ließ.
Sie mußte die Härte des Bodens unter sich spüren, aber er kam ihr vor wie der weichste Teppich. Es war einfach wunderbar, auch die Stütze im Rücken. Da hatte sich der Vampir für sie einen besonders günstig stehenden Grabstein ausgesucht.
Es war okay, es war alles in bester Ordnung. Ich bin geborgen, ich stehe jetzt an der Schwelle zu meinem neuen Leben, und mit diesem Bewußtsein schlug sie die Augen auf.
Da stand er vor ihr, und er sah in seiner dunklen Kleidung nicht viel anders aus als ein Grabstein, vielleicht höher, auch breiter. Hinzu kam das bleiche Gesicht, das von einer wahren Haarpracht umgeben war, die wie ein Besen wirkte.
Er schaute auf sie nieder.
Susan blickte zu ihm hoch.
Zum erstenmal konnte sie direkt in seine Augen sehen, die in den dunklen Ringen oder Höhlen fast verschwunden waren. Aber da leuchtete noch etwas tief in ihnen. Es sah aus, als wäre dort ein geheimnisvolles, rötliches Licht angezündet worden, ein Stück aus der Hölle, das sich flackernd in die Augen des Blutsaugers verirrt hatte, um ihre Botschaft in die Welt zu strahlen.
Er beugte sich herab. Auch seine Knie gaben dabei nach, und als er dabei die Arme ausstreckte, sah sie seine Hände wie alte Klauen, deren Finger aus staubbedeckten Astresten bestanden.
Sie faßten zu und rückten den Körper in die Höhe, damit das Mädchen mehr in eine sitzende Stellung geriet.
Er schaute sie an.
Ein Blick wie Flammen, aber auch einer, der ihr den Weg in ein neues Leben öffnete. Ein Blick, der ihr ein Versprechen gab, der einiges verhieß, und sie hatte plötzlich das Gefühl, in einem Käfig zu hocken, den allein der Blick unsichtbar wie ein dichtes Menschennest um sie geschlungen hatte.
Sein Lächeln war böse, aber es machte ihr keine Angst. Sie sah auch seine beiden Vampirzähne, deren Spitzen leuchteten, als wären sie gelb angestrichen worden.
»Du bist es. Ich spüre es…«
Noch immer stand Susan unter dem Einfluß dieser Kreatur. Sie wußte auch nicht, was er mit seinen Worten gemeint hatte und schaffte es, eine
Weitere Kostenlose Bücher