AnidA - Trilogie (komplett)
unschlüssig mit ihren geistigen Fingern nach der Perle. Sie spürte nicht, wie sie sie berührte, aber die Perle rotierte und drehte Anna langsam ihre bisher nicht sichtbare Seite zu. Anna holte tief und erschrocken Luft und hätte dadurch beinahe den Kontakt verloren.
»Bleib ruhig«, murmelte die Stimme. »Warte ab.« Die Perle vollendete ihre Drehung und kam wieder zur Ruhe. Immer noch schimmerte sie sanft im diffusen Nicht-Licht des geistigen Auges, nur hatte sie die Farbe gewandelt und war nun von samtiger Schwärze.
»Davon haben deine Lehrerinnen dir sicher nicht erzählt.« Die Besitzerin der Stimme schien zu lächeln. »Nur wer beide Seiten seiner Kraft kennt, kann sie wirklich nutzen. Aber welche Seite deine wahre Stärke beinhaltet, musst du erst noch herausfinden. Ich denke, du solltest jetzt eintreten.«
Anna schluckte und wappnete sich gegen eine erneute Enttäuschung. Noch nie war es ihr gelungen, in ihre Kraft einzutreten. Jetzt lag sie schwarz und beinahe drohend vor ihr und machte ihr umso mehr Angst.
Mutig kämpfte sie ihre Angst nieder und konzentrierte sich auf die schwarze Perle. Weil ihr die Bezugspunkte fehlten, konnte sie nicht sagen, ob die Schwärze anschwoll oder ob sie ihr näher kam, aber schließlich fand sie sich vor einer Wand aus Dunkelheit wieder, die drohend über ihr aufragte. Mit einem tiefen Atemzug tauchte sie hinein, bereits gewappnet gegen den Aufprall und das Zurückweichen, das sie von all ihren früheren Versuchen kannte.
Aber diesmal blieb ihr der Schock erspart. Ohne Widerstand tauchte sie in die Schwärze hinein und hindurch, und als sie die andere Seite erreichte, war alles wie zuvor.
Verwirrt schlug Anna die Augen auf und sah die Krähe an. »Es hat nicht geklappt«, sagte sie leise. »Aber es war anders als sonst.«
Jinqx nahm ihre Hand und sah sie prüfend an. »Hat man dich Verwandlungszauber gelehrt?«, fragte sie.
Anna schüttelte resigniert den Kopf. »Zumindest einfachere Anwendungen sollte ich beherrschen – aber ich kann noch nicht mal einen Grashalm in eine Blume verwandeln. Es tut mir Leid, Jinqx, ich bin eine schreckliche Enttäuschung für alle.«
Die Krähe schnalzte missbilligend mit der Zunge und zog einen kleinen Stein aus der Tasche. Mit einer schnellen Handbewegung ließ sie ein Schneckenhaus daraus entstehen und drückte es Anna in die Hand.
»Zeig mir, wie du es gelernt hast«, forderte sie die junge Frau auf und legte die Hand auf Annas Handgelenk. Anna zuckte mit den Schultern und blickte auf das Schneckenhaus hinab. Sie ließ ihren Geist seine Struktur erfühlen und berührte hier und da eine immaterielle Windung, ertastete die Schwingung, fühlte nach dem Wesen, das den Stein ausgemacht hatte ...
»Ah, ja«, murmelte Jinqx. »Viel zu kompliziert. Sieh her.«
Anna spürte, wie ein fremder Geist sie umfasste und ihr inneres Auge auf einen Punkt lenkte, den sie nie zuvor bemerkt hatte. Ein kleiner mentaler Ruck, und wieder lag der Stein vor ihr.
»Jetzt du«, sagte die Krähe aufmunternd. Anna entließ den angehaltenen Atem und tastete unsicher nach dem Hebelpunkt. Ein kleines Rinnsal von Kraft durchzuckte sie prickelnd und verschwand. Mit großen Augen starrte sie auf das Schneckenhaus in ihrer Hand.
»Gut gemacht«, lobte die Krähe. »Und jetzt etwas Atmendes.« Sie berührte das Schneckenhaus mit einem Finger, wandte den Blick nach innen und verharrte. Wenige Lidschläge später saß ein blau schillernder Käfer auf Annas Handfläche und versuchte krabbelnd zu entkommen.
Annas Lippen formten ein stummes »Oh«. Sie ahmte Jinqx' Geste nach, suchte nach dem neu entdeckten Punkt, fand ihn mit ein wenig Mühe und benetzte unsicher die Lippen. Jinqx nickte ihr ermutigend zu. Anna schloss die Augen und zog. Diesmal war der Kraftstrom größer, und der Ruck, den sie spürte, erschütterte ihren Körper. Sie öffnete die Augen und sah die Maus, die sich durch ihre Finger zu winden versuchte.
»Ausgezeichnet«, sagte Jinqx und verwandelte das zappelnde Tier mit einer winzigen Handbewegung wieder in den Stein zurück, den sie in ihrer Tasche verschwinden ließ. »Das ist genug für jetzt – du solltest dich etwas ausruhen, denn ich brauche dich heute noch für eine schwierigere Verwandlung. Die wird dir wahrscheinlich nicht auf Anhieb gelingen, das sage ich dir gleich, damit du nicht entmutigt wirst. Aber du wirst sie beherrschen.« Sie schwieg eine Weile, ein Lächeln auf den Lippen. »Korben war ganz wild darauf, das zu lernen. Ich
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