Anita Blake 12 - Nacht der Schatten
wäre es mir entgangen.
»Was ist?«, fragte ich und sah von einem zum andern. »Du klingst wie Micah«, antwortete Merle. »Hört sich an, als wäre das schlecht«, erwiderte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Nicht schlecht, Anita, überhaupt nicht schlecht, nur ... unerwartet.« »Du hörst dich trotzdem nicht so ganz glücklich an.« »Merle macht sich zu viele Gedanken«, sagte Micah.
Ich sah ihn an, aber sein Blick war auf Merle gerichtet. Micah hatte sich die Haare noch nass zusammengebunden, sodass sie glatt am Kopf anlagen, der Pferdeschwanz aber in buschigen Locken über den Rücken hing. Sie fielen wie brauner Samt über sein dunkelgraues Hemd.
»Und worüber?«, fragte ich. »Wie er auf mich aufzupassen hat, hauptsächlich, und mittlerweile auch über dich.« »Machst du dir wirklich über mich Gedanken?«, fragte ich Merle.
»So ähnlich«, antwortete er. Er hatte sich ein weißes T-Shirt unter die Jeansjacke gezogen, aber davon abgesehen, trug er dieselben Klamotten wie immer. In Lederzeug hätte er wie ein alternder Biker gewirkt.
Micah drehte sich auf seinem Sitz zu mir. Sein Hemd machte diesen satten Laut, wenn Seide über Leder schabt. Es war kurzärmlig und schick. Die Farbe brachte seine goldgrünen Augen zur Geltung und ließ seine Haut noch dunkler erscheinen. Dazu trug er schwarze Jeans, einen schwarzen Gürtel mit silberner Schnalle und weiche, schwarze Schnürschuhe. Mir fiel zum ersten Mal auf, dass er wie zu einem Date gekleidet war. Wollte er mich oder Jean-Claude beeindrucken? Ein Besuch beim Meister der Stadt war für jeden Alpha ein mindestens halboffizieller Anlass. Aber für den, der mit seinem menschlichen Diener ins Bett ging, ein ganz besonderer. Ich wusste noch nicht, wie ich die ganze Situation handhaben sollt,. Theoretisch hatte Jean-Claude Micah problemlos akzeptiert, doch wie würde er reagieren, wenn er ihn in Fleisch und Blut vor sich hatte? Wie würde Micah auf Jean-Claude reagieren ~
Verdammt, ich hatte schon genug zu bewältigen, auch ohne männliche Egos bei Laune zu halten.
»Du ziehst schon wieder die Stirn kraus«, bemerkte Micah. »Es ist nichts«, sagte ich kopfschüttelnd. » Lass uns die Sache hinter uns bringen.« »Wieso klingst du so wenig begeistert?«
Ich hatte die Wagentür schon aufgedrückt und blickte über die Schulter zu ihm. »Wir sind hier, um Damian zu retten. Ich weiß nicht, in welchem Zustand er sein wird. Warum sollte ich da begeistert sein?«
»Ich weiß, dass du dir seinetwegen Sorgen machst, aber bist du sicher, dass das alles ist, was dich beschäftigt?« Ich sah ihn ärgerlich an. » Was meinst du?«
»Ich bin auch nervös wegen des Treffens mit dem Meister der Stadt.«
Fast als könnte er in meinen Kopf gucken. Wir kannten uns eigentlich nicht gut genug, als dass er mir so viel ansehen könnte, aber ... entweder er war Telepath, was ich nicht glaubte, oder er konnte mir tatsächlich so viel ansehen. Ich weiß nicht, welche Variante mich mehr erschreckte.
Ich stieß den Atem aus und ließ mich in den Sitz zurücksinken. »Ja, ich bin ein bisschen nervös, weil ich dich mit Jean-Claude bekannt machen muss. Rein theoretisch war er gelassen, auch nachdem er erfuhr, dass wir zusammen gewesen sind, aber wenn er dich persönlich sieht ...« Ich überlegte, wie ich es ausdrücken sollte. »Ich weiß nicht, wie er dann darüber denkt.«
»Geht es dir besser, wenn ich verspreche, mich zu benehmen? « »Vielleicht, zumindest wenn du es durchhalten kannst.« »Das kann ich«, sagte er und sah mir sehr ernst in die Augen. Sein ganzes Auftreten versprach guten Willen.
»Versteh das nicht falsch, Micah, aber ich bin in letzter Zeit von den Männern in meinem Leben ziemlich enttäuscht worden. Da fällt es ein bisschen schwer zu glauben, dass sich irgendwer zusammenreißen kann.«
Er streckte die Hand aus, um mich zu berühren, und ließ sie sinken, als hätte ich kein freundliches Gesicht gemacht. »Ich werde mein Bestes tun, Anita, das kann ich versprechen.«
Ich seufzte. »Das glaube ich dir.« »Aber?«
Ich musste lächeln. »Deine Absichten sind gut, meine Absichten sind gut, Jean-Claudes Absichten sind wahrscheinlich gut.« Ich zuckte die Achseln. »Du weißt, was man über gute Absichten sagt.«
»Mehr als mein Bestes kann ich nicht tun«, sagte er.
»Und mehr kann ich auch nicht verlangen, aber ich weiß selbst nicht, wie ich mit der Situation umgehen
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