Anne - 01 - Anne - 01 - Das Leben wird schöner Anne
ganz versteht, wieviel du zu tun hast. Hast du - ja, verzeih, wenn ich frage, Anne, ich weiß, daß es mich nichts angeht - aber hast du zum Beispiel bestimmte freie Tage?«
»Nein«, erwiderte Anne und senkte den Kopf. Frau Daell hatte einen wunden Punkt berührt. Das war es ja gerade, daß Anne nie etwas planen oder verabreden konnte, weil sie nie wußte, ob Frau Aspedal nicht im letzten Augenblick kam und sagte: »Du mußt heute abend die Kinder hüten, Anne.«
»Aber das gehört sich doch so«, fuhr Frau Daell fort. »Es versteht sich von selbst, daß du allerlei leisten mußt, um Wohnung und Essen und das Schulgeld wettzumachen. Doch davon abgesehen kann jeder Mensch eine gewisse Zeit für sich selbst beanspruchen - und vor allen Dingen eine bestimmte Zeit. Gesetzt den Fall zum Beispiel, Frau Aspedal verlangte von dir, daß du am Abend des Schulballes die Kinder hüten sollst?«
Anne biß sich auf die Lippe. Das war es ja eben, wovor sie schon eine Todesangst hatte. »Es ist so schwierig, davon etwas zu sagen -Frau Aspedal ist so freundlich zu mir. «
»Freundlich oder nicht freundlich!« entfuhr es Frau Daell, und ihre Stimme klang fast heftig. »Natürlich ist sie freundlich! Aber -Anne, es muß dir doch auch klar sein, was es für sie bedeutet, zu jeder Zeit von Hause weggehen zu können und zu wissen, daß Wohnung und Kinder in den besten Händen sind. Ist es nicht so? Du wischst Staub, du räumst die Küche auf, du bohnerst die Fußböden -sag mal, wann stehst du morgens eigentlich auf, Anne? Um sechs? Aha, um halb sechs. Und wieviele Arbeitsstunden hast du täglich bei Aspedals?
Nein, natürlich, das weißt du nicht. Selbstverständlich sollst du arbeiten, das ist klar. Aber du mußt jeden zweiten Sonntag frei haben - ganz und gar, und einen Abend in der Woche kannst du mindestens für dich beanspruchen. Frau Aspedal ist dann immer noch glücklich zu preisen. Verstehst du?«
»Ich - ich finde, ich bekomme dort so viel.« Anne wünschte sich sehnlichst, Frau Daell möchte aufhören, von dieser Sache zu sprechen. Aber sie redete unerbittlich weiter:
»Schulgeld - na schön. Aber, Anne - da wir nun gerade davon reden - warum in aller Welt beantragst du nicht einen Freiplatz in der Schule?«
»Einen Freiplatz?«
»Ja natürlich. Du bist eine so gute Schülerin, da sollte das doch keine Schwierigkeiten machen. Und deine Mutter ist Witwe - du siehst doch ein, Anne, daß du dich darum bewerben müßtest. Dann brauchst du kein Schulgeld mehr von Aspedals anzunehmen und würdest dich freier fühlen, nicht wahr?«
Frau Daell wartete die Antwort nicht ab. Sie stand auf und schaltete das Bügeleisen ein. Anne grübelte und grübelte, daß ihr der Kopf knackte, während die Stricknadeln in ihren Fingern nur so flitzten.
»Ach, Anne, willst du bitte mal eben aufmachen. Es hat geklingelt. Ich kann jetzt nicht - wegen des Bügeleisens.« Anne sprang zur Tür und öffnete sie. Draußen stand ein junges Mädchen -nein, fast eine Dame.
»Tag!« sagte sie laut und temperamentvoll. »Ein neues Gesicht? Sieh da, wohl die Freundin von Jess? Ich heiße Lotti Hagen.«
Anne stellte sich vor. Und Lotti Hagen ging ohne langes Zögern in die Wohnung. »Tag, Eva. Ich bin so dreckig von der verflixten Handschminke, ich muß mal schnell kopfüber in deine Badewanne springen, wenn nicht zufällig grade wer anderes drin liegt. - Nein? Großartig. Ich habe mein Handtuch vergessen. Kann ich mir eins aus deinem Schrank holen?«
Sie schleuderte Pelz und Hut auf einen Sessel und verschwand ins Badezimmer. Frau Daell schien den ganzen Auftritt als etwas höchst Selbstverständliches anzusehen. Sie hatte nicht einmal den Rock, an dem sie nähte, aus der Hand gelegt.
»Hast du Lotti Hagen jemals gesehen, Anne?« fragte sie.
»Nein.«
»Weißt du gar nicht, wer sie ist? Bist du noch nie hier im Theater gewesen?«
»Nein - ich bin noch nie in einem Theater gewesen. «
»Nicht? Dem müssen wir aber abhelfen. Lotti Hagen ist eine begabte Schauspielerin. Erst neunzehn Jahre alt. Aber sie hat tatsächlich schon eine ganze Reihe von Rollen gehabt. Jetzt spielt sie die Hauptrolle in der Kinderkomödie, die gestern Erstaufführung hatte. Sie ist am ganzen Körper braungeschminkt, darum nimmt sie immer zu unserer Badewanne ihre Zuflucht. Sie wohnt nämlich in einer Pension, wo es mit der Baderei ein bißchen mühsam ist.«
Kurz darauf erschien Lotti wieder mit struppigen Haaren, in einen gestreiften Bademantel gehüllt.
»Ich komme um
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