Anne - 02 - Anne - 02 - Anne und Jess, der Weg ins Glück
Oberlehrer Hagensens. Noch ein Jahr mit Stricken und vielleicht Servieren und Kinderhüten am Abend - und Schulaufgaben, Haufen von Schulaufgaben. Jetzt, da sie gewissermaßen die ganze Verantwortung auf ihre jungen Schultern genommen hatte, jetzt, da sie allein für die Reserve in ihrer und Jess’ Zukunft sorgen mußte - jetzt empfand sie diese Verantwortung fast als Belastung.
Sie freute sich, daß der Sommer bald zu Ende ging. Freute sich darauf, mit der Arbeit anzufangen, zupacken zu dürfen, mit allen Kräften, die das Glück selbst ihr verliehen hatte.
Jess war wie ausgetauscht. Er trällerte und pfiff, er redete von der Zukunft, von Konzerten, vom Dirigieren, von der Operette, die er mit Lotti und Henrik zusammen machen wollte. Er strahlte vor Glück und Arbeitseifer.
Anne aber segnete den Tag, da sie sich ein Herz gefaßt und an Onkel Herluf geschrieben hatte.
Ach, es würde sicher alles gut gehen! Sie hatte ja Jess und seine Familie. Das waren die lichten Ausblicke im kommenden Jahr. Im Hause von Onkel Herluf und Eva war sie immer willkommen. Da gab es immer etwas zu essen. Da konnte sie sich immer Rat holen, wenn sie welchen nötig hatte. Sie wagte sich gar nicht auszumalen, wie leer ihr Dasein sein würde, wenn sie dies gesegnete Haus nicht hätte.
Aber sie wurde gezwungen, sich das auszumalen, ob sie wollte oder nicht. Sie mußte sich das sogar sehr lebhaft ausmalen!
In den meisten Zimmern auf Westenbergen gab es ein Radio. Und wenn Anne sauber machte, drehte sie es oftmals an.
Sie war gerade im Begriff, die Betten in einem Doppelzimmer frisch zu beziehen. Die Gäste waren mit dem ersten Dampfer morgens weggefahren, gegen Mittag wurden die neuen erwartet. Sie nutzte die frühen Morgenstunden aus, um diese Arbeit zu erledigen.
Das Radio war angedreht. Die Morgennachrichten wurden durchgegeben.
Zunächst das Übliche über Konferenzen und Verträge und Sitzungen der Großmächte. Dann kamen Nachrichten aus dem Inland. Plötzlich zuckte Anne zusammen. Ihre eigene Stadt wurde genannt -ihre und Jess’ Stadt!
„. wird gemeldet, daß das Theater gestern in später Abendstunde von einem Feuer verheert wurde. Im letzten Monat war dort eine Sommerrevue gespielt worden. Das Feuer scheint in den aufgestapelten Kulissen entstanden zu sein. Es brach lange nach der Vorstellung aus. Das Gebäude war leer. Als Passanten zufällig das Feuer bemerkten, hatten die Flammen sich im Innern des Baus schon stark ausgebreitet. Der Bühnenraum ist völlig zerstört. Durch ein bedauerliches Versehen war der eiserne Vorhang nicht heruntergelassen, so daß die Flammen auch im Zuschauerraum fürchterlich gewütet haben.“
Anne hatte zu Boden fallen lassen, was sie in Händen hielt. Sie rannte durch die Korridore, die Treppe hinauf und klopfte bei Jess und Jörgensen an. Ein schlaftrunkenes „Herein“ erscholl von drinnen.
Ein strubbliger Kopf hob sich vom Kissen. Aus dem andern Bett war ein gleichmäßiges Schnarchen zu hören. „Aber, Anne, das gehört sich doch nicht. Du kannst doch nicht junge Leute in ihrem Schlafzimmer überfallen! Wenn du dann wenigstens den Kaffee mitgebracht hättest, dann wollte ich nichts sagen.“ Jetzt machte Jess die Augen erst richtig auf und setzte sich mit einem Ruck im Bett hoch. „Annemädchen, was ist los?“
Sie ließ sich auf dem Bettrand nieder und erzählte - mit gedämpfter Stimme, um Jörgensen nicht zu wecken. Sie war noch nicht sehr weit gekommen, da war Jess auch schon aus dem Bett gesprungen.
„Lauf runter und melde ein Gespräch nach Hause an, Anne. Ich bin in fünf Minuten da!“
Die Violine, dachte Anne, während sie in die Halle hinunterrannte. Onkel Herluf dirigierte ja das Orchester der Sommerrevue. Wenn er bloß die Violine nicht im Theater gelassen hatte!
Die Violine war ein Vermögen wert!
Das Gespräch kam schnell, denn es war noch früh am Tage. Ehe Jess sich auch nur notdürftig angezogen hatte, war Eva schon am Telefon:
„Onkel Herluf ist ins Theater gegangen, Annemädchen“, berichtete sie, „nein, gottlob, die Geige ist bei uns zu Hause! Ja, wir wurden heute nacht geweckt - doch, uns geht es soweit gut, aber was nun werden soll, wissen wir nicht. Wir sind ja nun alle miteinander arbeitslos - “, jetzt kam Jess und nahm den Hörer.
Viel war es nicht, was er von seiner Mutter erfuhr, aber sie versprach zu telegrafieren, sowie es etwas Neues zu berichten gäbe.
Das Telegramm kam zwei Tage darauf. „Vom hiesigen Kontrakt entbunden, habe
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