Anne Gracie
Harrys Hand. „Versuchen Sie es unter Freymore.“
Der Mann
sah nach. „Nein.“
„Denton.“
Wieder
dieses qualvolle Warten. „Nein.“
„Firmin.“
„Nein.“
„Smith,
Jones, Brown.“
Jetzt sah
der Mann nicht einmal mehr nach. Sein Blick war jedoch voller Mitgefühl und er
läutete mit einer Glocke. Eine Frau in einem
schwarzen Baumwollkleid trat ein. „Oberschwester, könnten Sie dieser Dame und
ihrem Gatten bitte die Andenken vom Oktober dieses Jahres zeigen?“
„Andenken?“
Nell fragte sich, was er damit wohl meinen mochte. Sie sah Harry an, aber der
schüttelte nur den Kopf.
„Bitte hier
entlang, Madam“, sagte die Frau und ging vor. Der steife Stoff raschelte
bei jedem ihrer Schritte. Sie brachte Nell und Harry in
einen kleinen Raum mit einem Tisch und einem großen Schrank.
Sie forderte die beiden auf, Platz zu nehmen, und öffnete den Schrank. Auf den
Regalen darin befanden sich lauter kleine, mit
einem Etikett versehene Schachteln. Sie nahm eine heraus, auf der Oktober
1817 stand, und stellte sie vor Nell auf den Tisch.
„Sehen Sie
nach, ob etwas dabei ist, das Ihnen bekannt vorkommt, Madam.“ Sie zog
sich in eine Ecke zurück und wartete.
Verwirrt
nahm Nell den Deckel der Schachtel ab. Auf den ersten Blick wirkte der Inhalt
wie eine Ansammlung von Krimskrams ohne
erkennbaren Zweck; ein Schlüssel, ein kleines hölzernes Herz mit
eingeschnitzten Initialen, ein emailliertes Medaillon, eine kleine, mit einem
schmutzigen Bändchen zusammengehaltene
Papierrolle, ein Stofffetzen, der um eine Nadel gewickelt war, eine zerbrochene
Münze, ein weißes Herz aus kunstvoll bestickter
Seide, ein kleiner Fisch aus Blei, wie ihn Angler als Köder benutzten, und ein
geflochtener Ring, dem Anschein nach aus Menschenhaar. An jedem Gegenstand
befand sich ein mit einer Schnur festgebundenes Etikett.
Neugierig
nahm Nell das Holzherz zur Hand, um das Etikett zu lesen. Eine Nummer stand
darauf und ein Satz: Jimmy Dare, das hat sein Pa für uns beide geschnitzt. Nell
schluckte gerührt.
„Die
meisten Mütter hinterlassen etwas, ein kleines Liebespfand für ihr Kind“,
erklärte die Oberschwester. „Manche der Nachrichten schreibe ich selbst, denn
viele dieser armen Mädchen können weder lesen noch schreiben.“
Nell las
ein anderes Etikett. Gott segne und beschütze meine Tochter. Nells
Lippen bebten. Mit zitternden Fingern drehte sie jedes Etikett um, immer
schneller und schneller, in der Hoffnung, eins in Papas Handschrift zu finden.
Dein Dad
war ein Seemann und ich liebte ihn sehr.
Auf einem
stand ganz schlicht: Verzeih mir.
Ein anderes
Etikett besagte: Für Tommy Jones von seiner Mama.
Sie griff
nach dem bestickten Seidenherz. Das Kärtchen daran trug eine wunderschöne
Handschrift. Von deiner Mutter, die in Ungnade gefallen ist und das
kostbarste Geschenk verloren hat, das Gott ihr gemacht hat. Nells Augen
füllten sich mit Tränen.
Sie nahm
ein Andenken nach dem anderen zur Hand und betete inständig, es möge eins von
Papa dabei sein. Zum Schluss blieb nur noch die kleine Papierrolle übrig. Mit
zitternden Fingern löste sie die Schnur. Sie starrte auf das Papier; aber die
Schrift verschwamm zunehmend vor ihren Augen. Alles, was Nell erkannte, war,
dass das nicht Papas Schrift war und dass es eine Art Vers zu sein schien.
„Ist es
seine Handschrift?“, fragte Harry.
Sie
schüttelte den Kopf. „Aber ich möchte es trotzdem lesen.“
„Dann gib es
mir.“ Harry nahm ihr das Papier ab und las mit tiefer Stimme vor.
Mein armes Kind, ich lass dich hier
Und sag Lebwohl mit Tränen dir.
Mutterlos wirst du im Leben sein,
im Herzen bleibst du immer mein.
Harry band die Rolle behutsam wieder mit
der Schnur zusammen und es rührte Nell zu Tränen, als sie sah, wie sanft diese
großen Hände mit dem
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