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Anruf aus Nizza

Anruf aus Nizza

Titel: Anruf aus Nizza Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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präziser.
    »Bitte, Signora, um wieviel Uhr hat sich die Katastrophe ereignet?«
    Lügen war schwer.

»Ich weiß es nicht genau«, sagte sie. »Ich glaube, es war etwa gegen halb elf Uhr.«
    »Vormittags?«
    »Ja, natürlich.«
    Der rundliche Mann machte eine Notiz, dann sagte er:
    »Wir dachten ursprünglich, ein Schiff hätte SOS-Signale von der YPSILON aufgefangen. Das hat sich inzwischen leider als Irrtum herausgestellt.«
    »So?«
    »Ja. Es war also vormittags, sagten Sie?«
    »Ja.«
    »Das wissen Sie ganz bestimmt?«
    Monika wurde unsicher.
    »Ich... ich glaube ja. Es war so fürchterlich, natürlich habe ich nicht auf die Uhr geschaut, und dann könnte ich mich eine Weile an überhaupt nichts mehr erinnern.«
    »Sehr begreiflich, Signora. Aber vielleicht wissen Sie noch, ob Sie vor der Katastrophe schon gefrühstückt hatten?«
    »Ja, das heißt, ja doch...« Sie überlegte fieberhaft. Details lassen eine Lüge immer glaubhafter erscheinen. Man mußte ihr glauben. »Ja, ich hatte Toast und... ja, eine Grapefruit und...«
    »Vielen Dank, das genügt schon. Hatten die anderen Passagiere auch schon gefrühstückt?«
    »Das... das weiß ich nicht. Ich ließ mir mein Frühstück in meine Kabine bringen.«
    »Ah, in die Kabine. Und dann? Waren Sie in Ihrer Kabine, als die Explosion erfolgte?«
    »Nein, natürlich nicht. Ich wollte mich gerade an Deck in einen Liegestuhl legen.«
    »Daran erinnern Sie sich jetzt genau?«
    »Ja, das ist mir später wieder eingefallen.«
    »Waren die anderen Gäste auch an Deck in Liegestühlen?«
    »Das... daran kann ich mich nicht mehr erinnern.«
    »Aber Signora, Sie müssen doch wissen, ob Sie an Deck noch mit jemandem gesprochen haben.«
    »Ich... es kann sein. Ja, ich glaube, da war...« Sie brach ab, und Robert streichelte ihre Hand.
    »Lassen wir das«, sagte der kleine Rundliche. »Eine andere Frage, Signora...«
    Das Verhör dauerte über eine Stunde. Monika war zwischendurch versucht, aufzugeben, ihnen allen die Wahrheit zu sagen. Aber da war Roberts Hand, seine gute, beruhigende Hand, und so log sie weiter, immer weiter. Sie hatte keine Ahnung, ob die beiden Herren ihr glaubten.
    Schließlich mußte sie noch das Protokoll mit ihren Aussagen unterschreiben, und dann war sie endlich wieder mit Robert allein.
    Oben, in ihrem Zimmer, lehnte sie sich an seine Brust.
    »Nie mehr, Robert, bitte niemals mehr davon sprechen.«
    »Nein, Liebes, natürlich nicht.«
    Ihr Blick glitt über den Balkon zum Meer. Sie wandte sich schaudernd ab. »Ich kann das Meer nicht mehr sehen, Robert, es macht mich verrückt.«
    Er küßte sie auf die geschlossenen Augen.
    »Vergiß alles«, sagte er zärtlich. »Heute nacht bringt uns der Zug weit weg von hier. Und dann werden wir noch ein paar Tage ganz für uns haben. Nur für uns. So wie damals, als wir unseren ersten Skiurlaub zusammen verbrachten.«
    Sie lächelte ihm unter Tränen zu, dann schluchzte sie:
    »Nur schade, Robert, daß es nicht verboten ist... ich möchte so gern noch einmal heimlich verlobt sein. Mit dir, natürlich.«
    Er lachte.
    »Du kannst ja in Lugano dein eigenes Zimmer haben und dich unter deinem Mädchennamen eintragen. Ich klettere dann nachts über den Balkon zu dir.«
    Nur eine Sekunde war er überrascht, als sie ihn stürmisch umarmte und auf ihr Bett zog. Dann schloß er lächelnd die Augen. Er glaubte, sie zu verstehen...

    *

    Vor einem kurzen Regenschauer aus malerisch bewölktem Himmel waren sie ins Bahnhofsrestaurant geflüchtet. Nun fuhren sie mit der Drahtseilbahn zur Piazza Funicilare hinab, mitten in die Stadt hinein, deren heißer Asphalt noch dampfte.
    Dann schlenderten sie im Schatten der Arkaden durch die Via Nassa. Vor einem der bekannten Juweliergeschäfte blieben sie stehen.
    »Mein Armband ist auch weg«, sagte Monika. »Es liegt irgendwo auf dem Meeresgrund.«
    Dies war, so glaubte sie wenigstens, eine der wenigen Wahrheiten. Robert tröstete sie.
    »Ich werde es dir noch mal machen lassen.«
    Sie wehrte ab.
    »Bitte nicht, Robert. Es würde mich immer daran erinnern.«
    Sie waren gestern früh angekommen, wohnten im Strandhotel in Castagnola und heute morgen hatten sie, vom Hotel aus, schon gebadet. Das Wasser war, jetzt Ende Mai, frisch, aber nicht kalt. Über vierundzwanzig Stunden war kein Wort zwischen ihnen über die YPSILON gefallen. Aber nun, vor dem Juweliergeschäft, war es auf einmal wieder da. Würde das nie aufhören?
    Sie bummelten weiter, kehrten schließlich zur Promenade zurück

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