Anruf aus Nizza
weiß nicht. Vorläufig, dachte ich, bis du wieder ganz in Ordnung bist. Und außerdem bekommt sie doch selber ein Kind, ich wollte ihr helfen, sie hat sonst niemanden.«
»Aha.«
Sie ließ das Thema fallen, und Robert wußte nicht, ob ihr Irene recht war oder nicht.
Jedenfalls war die Spannung zwischen beiden vorbei. Sie lagen eng nebeneinander, fühlten gegenseitig ihre Wärme und hatten beide keine Wünsche mehr.
*
Brigitte Perrier kümmerte sich wenig um die zehn Gebote. Nur den Sonntag hielt sie heilig, was sich hauptsächlich darin äußerte, daß sie sonntags noch länger schlief und noch weniger tat, als während der übrigen Tage.
Als sie dann gegen Mittag in der Sonne saß und ihren Fruchtsaft trank, überlegte sie, mit wem sie heute Tee trinken sollte.
»Schicksal«, sagte sie halblaut, als das Telefon klingelte. Sie war überzeugt, der Anrufer könne nur ein Mann sein, und sie war entschlossen, ihn zum Tee einzuladen. Sie liebte solche Entscheidungen, die sie »Gottesurteil« nannte.
Erwartungsvoll hob sie den Hörer ab, meldete sich und tatsächlich, sie hatte recht gehabt, doppelt recht.
»Giulio, wie schön, daß du anrufst! Wo? Hier, in Nizza. Großartig. Ich habe in den Zeitungen gelesen, daß alles wundervoll geklappt hat. Du bist ein Engel!«
Giulio kam mit seinem weißen Cadillac. Er sah aus, wie ein Torero nach seinem größten Sieg.
»Es war alles wie im Kino«, erzählte er. »Kein Mensch hat Verdacht geschöpft, und zum Schluß war großes Happy end.« Er schaute Gitta sehnsüchtig an. »Deine Freundin ist wunderbare Frau, ich bin jetzt ganz verhungert nach... du weißt schon.«
Giulio war nicht ihre große Liebe, sie hatte noch nie eine gehabt. Aber sie mochte ihn, es war eine Art von Symbiose zwischen beiden. Er war unkompliziert, gepflegt und zärtlich, und Giulio schätzte an ihr, daß sie niemals sentimental wurde und nichts von ihm verlangte, was nach ewiger Treue roch. Sie fanden sich immer dann, wenn beide gerade nichts Besseres oder Aufregenderes zur Verfügung hatten.
Tatsächlich tranken sie dann am späten Nachmittag zusammen auf der Terrasse ihren Tee. Giulio berichtete, wie er alles arrangiert habe, wobei er natürlich einiges nicht erwähnte. Zum Beispiel sagte er nichts von Tino Moreno, erst recht nichts von dem Armband mit den Saphiren und Rubinen.
Dafür erfuhr er, fast nebenbei, von Brigitte mehr über das rätselhafte Mädchen, das Monika bei ihrer Abfahrt aus München vermutlich angefahren hatte. Er hörte, daß dieser Wolfgang Rothe, den er nicht kannte, der jedoch in seiner Gedankenkombination bereits seinen Platz hatte, daß Wolfgang also dieses Mädchen in die Klinik von Monikas Mann gebracht hatte, daß sie daraus nicht nur verschwunden war, sondern daß Robert Berckheim sie, welch teuflischer Zufall, sogar nach Ried mitgenommen hatte. Und nun regte sich Brigitte darüber auf, daß niemand wußte, wo Monika steckte, und daß man sie daher vor diesem Mädchen auch nicht warnen konnte.
Giulios Hirn arbeitete. Er wußte nur zu gut, wo Monika sich aufhielt, denn Tino rief ihn jeden Abend an, gab ihm jeden Abend einen genauen Bericht der Lage. Gestern abend hatte Tino berichtet, die Berckheims würden morgen früh abreisen, vermutlich nach Hause.
»Giulio!« hörte er Brigitte neben sich sagen. »Giulio, du bist unhöflich, du hörst mir überhaupt nicht zu.«
»Oh doch«, sagte er. »Du ahnst nicht, wie genau ich dir zugehört habe.«
»So? Wovon habe ich denn gesprochen?«
»Von Monika. Die Arme. Aber ich habe auch keine Ahnung, wo man sie erreichen könnte.«
»Wirklich nicht? Hat sie dir in Neapel denn nicht gesagt, wohin sie mit ihrem Mann fahren würde?«
»Kein Wort. Und ich habe sie auch nicht gefragt.«
»Stell dir nur vor, wenn sie ahnungslos heimkommt, und da steht dann plötzlich dieses Mädchen vor ihr! Glaubst du, daß man sich an den Menschen erinnern kann, der einen mit dem Auto überfährt?«
»Keine Ahnung. Ich bin noch nie überfahren worden. Wie heißt denn dieses Mädchen?«
Brigitte stand auf.
»Moment, ich hab’ es mir aufgeschrieben.«
Sie kam mit einem Zettel wieder. »Irene Keltens heißt sie.«
Giulio nahm ihr mit einer selbstverständlichen Bewegung den Zettel weg und steckte ihn ein. »Ich will mal sehen, vielleicht kann ich erfahren, wo sich Monika aufhält, und dann sage ich es ihr.«
Kurze Zeit später verabschiedete er sich von Brigitte.
Kaum zu Hause angekommen, meldete er ein Ferngespräch mit Lugano an.
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