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Antarktis 2020

Antarktis 2020

Titel: Antarktis 2020 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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zu Großmutters Zeiten nicht mehr gegeben hatte.
    Manihikis geographische Lage war die Südsee, aber es hatte nichts mehr von einer Südseeinsel, es war Kombinat, Kombinat INTERGAN. Der neue Hafen von Port Cook, das Rechenzentrum, die Sanatorien, die weiß aus dem satten Grün der Hänge zum Hafen herunterleuchteten, alles war Kombinat. Und der Hafen war nur auf den. ersten Blick wie jeder andere. Hier lagen mehr Spezialschiffe als in anderen Häfen, mehr schwimmende Kräne, Bagger, Bathyskaphträger, U-Schiffe, auch mehr kleine wendige Tanker und Schüttguttransporter.
    Ich hätte mir für die Reise mehr Zeit lassen sollen, dachte Thomas, der sich lustlos und zerschlagen fühlte. Am Sonntag noch in Berlin und heute, Dienstag, auf Manihiki. Vielleicht wären ein paar Tage Zwischenaufenthalt in Apia ganz angenehm gewesen. Aber die Zeit hätte ich mir vom Zusammensein mit Mutter abknapsen müssen. Sie war ohnehin betroffen, als sie erfuhr, daß ich nur eine Woche bleiben würde und – ohne Evelyn ankam. Ob sie von dem Streit zwischen mir und Evelyn etwas weiß? Sie mag Evelyn sehr.
    Evelyn! – Immer mehr in der letzten Zeit beschlich Thomas Monig ein eigenartiges Gefühl, wenn er an Evelyn dachte. Wenn er, als er vor einem halben Jahr in Berlin zu seinem Praktikum aufbrach, noch völlig im Recht zu sein glaubte, sich überzeugt unverstanden fühlte, begann er nun unsicher zu werden.
    Er hatte Zeit gehabt, viele Stunden, von Mirny bis Berlin, von Wismar bis Manihiki. Er hatte sich bewußt niemandem von den Mitreisenden angeschlossen, war also mit sich und seinen Gedanken allein gewesen – und mit seinen Erfahrungen aus TITANGORA. Und es waren auch Stunden dabei, in denen er so etwas wie Reue empfand. Er dachte viel an das Vermittelnde, das Evelyn in dem Streit an jenem Nachmittag in Berlin immer wieder anklingen ließ. Er sah sie jetzt wieder vor sich, die Bitte um Verständnis in ihrem Blick, und hörte: »Sieh, Tom, die anderthalb Jahre sind so schnell vorbei. Sie sind dir – uns – bestimmt nützlich. Und du wirst danach einiges anders einschätzen, sehen, daß es noch anderes, Erstrebenswerteres gibt als jetzt schon – in unserem Alter – na, eine Art Bequemlichkeit…« Und dann hatte sie seinen Kopf zwischen die Hände genommen, ihm in die Augen gesehen und hinzugefügt: »Du weißt genau, daß gerade hier unsere Auffassungen auseinandergehen, und ich fürchte, das geht auf die Dauer nicht gut…«
    Ganz ruhig hatte sie das gesagt – und lieb!
    Und ich? Thomas ließ langsam den Wedel einer Palme durch die Finger gleiten, die in einem Kübel neben ihm stand. Aufgebracht, ruppig habe ich mich betragen. Thomas, der Unverstandene!
    Aber Mutter weiß das nicht. Sie hält ihren Sohn für den Besten, natürlich, der keiner Fliege etwas zuleide tun kann, der alles richtig macht. Vielleicht bedrückt sie die große Entfernung zwischen ihr und mir – erst die Antarktis, jetzt die Südsee. Doch das war vielleicht vor fünfzig Jahren noch ein Grund. – Heute? In zwölf Stunden könnte ich bei ihr sein… Aber womöglich wird der Mensch so, wenn er aus dem eigentlichen Arbeitsprozeß ausscheidet? Gewiß, sie hat ihre Beschäftigung. Thomas erinnerte sich des Leuchtens in Mutters Augen, als sie von ihrer regen Tätigkeit im Territorialkollektiv des Wohngebietes sprach.
    Was war das neueste Vorhaben? – Eine Raumpflege-Brigade für den Wohnblock wollen sie bilden. So eine Art Heinzelmännchen-Truppe. »Du machst dir keinen Begriff, Thomas«, hatte sie sich schwärmerisch beklagt. »Es gibt noch Menschen, die dagegen sind. Sie wollen uns in ihrer Abwesenheit nicht in die Wohnung lassen. Nichts als Vergangenheitsargumente. Die allermeisten sind natürlich dafür! Und die anderen lassen wir gehen. Sie werden schon noch dahinterkommen, wie angenehm es ist, von dieser Arbeit befreit zu werden. Und denk dir nur, wie rentabel wir das machen können!«
    Thomas lächelte bei diesem Gedanken an seine Mutter. Wie begeistert sie Es wird heute niemand mehr allein gelassen, wenn er es nicht ausdrücklich will, dachte er. Und doch. Er hatte ein schlechtes Gewissen, wenn er an seine Mutter dachte, und der Besuch bei ihr zwischen TITANGORA und Manihiki, der viel zu kurz war, bestärkte ihn in dem unbestimmten Gefühl, etwas zu versäumen, wenn er sich weiter so wenig um die alte Frau kümmerte.
    Sie spürt, daß ich mit mir hadere, daß zwischen mir und Ev etwas ist.
    Mutter ist zu feinfühlig, um mir Vorwürfe zu machen. Aber die

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