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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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plötzlich stehen und rief: »Doktor Graves? Ich bin’s, Tom. Ich hab den Professor und Miss Preussler gefunden. Wir kommen jetzt zu Ihnen rein.«
    Er bekam keine Antwort, aber das schien ihm zu genügen. Er bedeutete Miss Preussler und dem Mädchen zwar mit einer entsprechenden Geste zurückzubleiben und nahm auch das Gewehr von der Schulter, trat aber dann ohne zu zögern durch die Tür. Miss Preussler folgte ihm, und als auch Mogens sich in Bewegung setzte, beeilte sich das Mädchen, sich ihm anzuschließen – wenn auch vermutlich mehr, damit der Abstand zwischen Mogens und ihr nicht zu klein wurde.
    Der Saal, den sie betraten, war nur unwesentlich kleiner als die Halle hinter dem Eingang, aber niedriger und deutlich besser erhalten. Decke und Wände waren kaum beschädigt, und auch den Fresken und Wandmalereien hatte die Zeit nicht sehr viel anhaben können. Ein gutes Dutzend Fackeln – die meisten waren kaum heruntergebrannt, und Mogens nahm an, dass Tom sie entzündet hatte – sorgte für flackernde, aber überraschend intensive Helligkeit, erfüllte die Luft aber auch mit einem durchdringenden Brandgeruch, der zum Husten reizte.
    Graves hockte mit angezogenen Beinen vor der gegenüberliegenden Wand, und Mogens musste ihm nur einen einzigen, flüchtigen Blick zuwerfen, um Toms übermäßig erscheinende Vorsicht zu verstehen. Graves hatte das Gewehr quer über den Knien liegen und umklammerte es mit beiden Händen. Er befand sich in einem furchtbaren Zustand – einem Zustand, in dem Menschen dazu neigen, übereilt zu reagieren und Fehler zu machen.
    Er war vollkommen durchnässt. Sein Haar klebte am Schädel und hing ihm in wirren Strähnen ins Gesicht, undaus seiner Kleidung tropfte Wasser, das sich bereits zu einer ansehnlichen Pfütze unter ihm gesammelt hatte. Er zitterte am ganzen Leib, und als Mogens sich ihm vorsichtig näherte, sah er, dass sein Gesicht eingefallen und grau wirkte, als wäre er in den letzten zwanzig Minuten um die gleiche Anzahl von Jahren gealtert.
    »Großer Gott, Jonathan«, flüsterte er. »Was ist mit dir passiert?«
    Im allerersten Moment sah es so aus, als hätte Graves seine Worte nicht einmal gehört. Erst nach ein paar Sekunden hob er langsam und zitternd den Kopf und sah Mogens an. Doch was er in seinen Augen las, das war sehr viel weniger Erkennen, als vielmehr ein blankes, abgrundtiefes Entsetzen. »Wasser«, stammelte er. »Es … es ist voller Wasser, Mogens.«
    » Was ist voller Wasser?«, fragte Mogens.
    Graves’ Hände schlossen sich fester um Schaft und Lauf des Gewehres, aber es war keine Bewegung, von der Gefahr ausging. Graves brauchte einfach irgendetwas, an dem er sich mit aller Kraft festklammern konnte, um nicht den Halt in der Wirklichkeit zu verlieren. »Wasser, Mogens«, stammelte er noch einmal. »Sie leben im Wasser!«
    » Wer lebt im Wasser?«, erwiderte Mogens verwirrt. Dann begann er zu begreifen. »Die Pyramide?«, fragte er. »Du warst in der Pyramide? Du hast sie gesehen?«
    Graves schüttelte abgehackt den Kopf. Sein Zittern verstärkte sich. »Ich war dort, Mogens«, flüsterte er. »Das Tor. Es ist offen.«
    Mogens riss ungläubig die Augen auf. »Das Tor?«, wiederholte er. »Du warst dort? Du hast sie gesehen?«
    Graves nickte. Der Ausdruck von Entsetzen in seinen Augen nahm noch zu. »Es ist alles voller Wasser«, flüsterte er. »Da sind … Städte. Gewaltige Dinge. Ich habe sie gesehen, Mogens.«
    »Die alten Götter der Ägypter?«
    Die abgehackte Bewegung, mit der Graves antwortete, war unmöglich zu deuten. Sie konnte ein Nicken sein, ebensogut aber auch ein Kopfschütteln oder etwas gänzlich anderes. »Die Bewohner des Hundssterns«, flüsterte er. »Sie sind keine Götter, Mogens. Sie sind …« Er schluckte schwer, löste die linke Hand vom Lauf seines Gewehrs und fuhr sich nervös damit über den Mund.
    »Was?«, fragte Mogens erregt. »Was sind sie, Jonathan?«
    Das Flackern in Graves’ Augen nahm für einen Moment noch zu, und für eine noch winzigere Zeitspanne war Mogens fast sicher, dass er den schmalen Grat zum Wahnsinn überschritten hatte. Dann aber geschah etwas Unerwartetes: Graves’ Blick klärte sich. Wahnsinn und Terror waren von einem Sekundenbruchteil auf den anderen aus seinen Augen verschwunden, und die alte, geringschätzige Überheblichkeit kehrte wieder zurück.
    »Nichts«, sagte er. »Wir werden später darüber reden, in der gebührenden Ruhe. Jetzt halte ich es allerdings eher für angezeigt,

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