Arbeit - Leben - Glueck
an die Arbeitswelt und mehr Praxisbezug wehren. Und darüber muss man froh sein, denn es bedeutet ja, dass es jenseits aller Zwecke eine Welt gibt, wo die klügsten Köpfe dafür sorgen, dass andere kluge Köpfe optimal gefördert werden. Ohne diese Förderung wäre es nicht möglich, völlig neue Wege zu gehen, neugierig zu sein und das bisher als richtig Erkannte hinter sich zu lassen.
Ein Beispiel dafür ist die Geschichte des Hygieneprofessors Robert Koch. Er fand als Erster heraus, dass unser Körper von lebenden Mikroorganismen besiedelt ist. Einige von ihnen warten in der Luft, im Wasser oder in Zwischenwirten wie Stechmücken, Fliegen oder Zecken, bevor sie in uns eindringen, andere sind immer in uns. Über drei Kilo Bakterien, Pilze und Viren leben in unserem Körper, aber Koch wurde ausgelacht, als er seine Theorie zum ersten Mal einem Fachpublikum darlegte. »Das muss man sich mal vorstellen, unser Körper, ein Zoo . . .«, witzelten seine Kollegen, die noch an die Miasmentheorie glaubten. Miasmen, das sollten giftige Dämpfe sein, die man damals für Krankheiten wie Pest oder Cholera verantwortlich machte.
Die Theorie war falsch, aber zweckmäßig: Sie hatte zu mehr Sauberkeit geführt und deshalb zu einem gewissen Rückgang der Cholera und auch der Tuberkulose. Man hielt sogar dann noch an der Miasmenlehre fest, als sich zeigte, dass alle Maßnahmen, die auf die neue Theorie von Robert Koch zurückgingen, noch viel effektiver vor ansteckenden Krankheiten schützten: Wasserabkochen, Quarantäne und Ungezieferbekämpfung.
Lange stand Theorie gegen Theorie, und erst als Koch die |48| Erreger von Milzbrand, Tuberkulose und Cholera tatsächlich isoliert und sichtbar gemacht hatte, wurde die Miasmenlehre aufgegeben. Dieser ganze Prozess dauerte viele Jahre, und wenn es nach der herrschenden Meinung gegangen wäre, hätte Koch mit seinem Unsinn sofort aufhören müssen. Es gab doch schon die Miasmentheorie, wozu brauchte man etwas Neues? Und nur, weil Koch frei forschen konnte und niemand ihn einschränkte, gelang es ihm in jahrelanger Kleinarbeit, seine Theorie zu beweisen und somit einen der wichtigsten Paradigmenwechsel seiner Zeit zu vollführen. Unser gesamter Fortschritt beruht auf dieser Freiheit, und es wäre ein Jammer, wenn sie verloren ginge.
Andererseits ist es mit der Freiheit auch oft nicht weit her, selbst an einer Universität nicht. Das ist besonders bei den Geisteswissenschaften ein Problem, also gerade dort, wo man es am wenigsten erwarten würde. Man braucht nur einen Blick auf die Leselisten zu werfen, die in jedem Semester die Runde machen. Kiloweise Fachliteratur wird verabreicht, doch wozu soll das gut sein? Oft geht es nur darum, die Klassiker zu zitieren und den Stand der Fachdiskussion zu kennen, während das freie Denken auf der Strecke bleibt.
Außerdem sehen viele Professoren die Lehre bloß als lästige Pflicht. Nur wenn sie viel forschen und noch mehr publizieren, mehren sie ihr Ansehen und sichern sie ihren beruflichen Aufstieg, während eine gute Lehre ihnen nichts einbringt außer der Sympathie der Studenten. Die Universitäten geraten deswegen zunehmend in die Kritik und an vielen Orten gibt es mittlerweile Studiendekane. Sie prüfen die Qualität der Lehre und fragen direkt bei den Studenten nach. Jährliche Universitäts-Rankings in den Medien sowie die Umstellung auf Bachelor und Master tun ein Übriges, um die längst überfällige Diskussion um die Qualität der Lehre zu führen. Dabei geht es unter anderem darum, ob |49| etwa die neuen Abschlüsse Bachelor und Master zu einem schlechteren Ausbildungsniveau führen und was die erworbene Qualifikation eigentlich wert ist.
Diese Frage stellen sich jedoch nicht nur angehende Bachelor, Master oder PhDs, sondern alle, die sich qualifizieren. Einerseits sollen sie ja genau das tun, andererseits scheint Qualifikation nicht immer etwas zu nützen, wenn man später irgendwann auf Jobsuche geht.
Gescheit, gescheiter, gescheitert?
Qualifikation und ihr Stellenwert
Mehr denn je gilt bei uns in Deutschland und in anderen hoch entwickelten Industrieländern: Menschen, die schlecht ausgebildet sind, haben schlechte Berufsaussichten. Doch wie steht es um jene, die gut ausgebildet sind? Lange Zeit waren sich alle Experten einig: Wer qualifiziert ist, findet immer irgendwie eine gute Stelle. Im Zuge der Globalisierung, also der weltweiten wirtschaftlichen Vernetzung, verlagern jedoch immer mehr Firmen auch qualifizierte Arbeit
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