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Aristos - Insel der Entscheidung

Aristos - Insel der Entscheidung

Titel: Aristos - Insel der Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Reid
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zärtliche Gefühlen überhaupt empfinden konnte.
    „Natürlich“, erwiderte er barsch. „Denkst du vielleicht, ich bin aus Stein?“
    „Ja, das tue ich!“, hörte sie sich antworten. Doch was viel schlimmer war, sie verstand plötzlich, was Isabella meinte. Warum ihre Schwiegermutter ein Zusammentreffen arrangiert hatte. Das einfache englische Mädchen und der mächtige Grieche spielten längst nicht mehr in derselben Liga! Wenn sie sich heute zum ersten Mal begegnet wären, hätte Andreas sie wahrscheinlich nicht einmal angesehen!
    Schützend schlang sie die Arme um ihren Körper und zwang sich, den Blick von ihm zu lösen. Auch wenn der teure, maßgeschneiderte Anzug sie nicht einschüchtern konnte, die lässige Eleganz, mit der er ihn trug, untermauerte ihre Erkenntnis, dass sie und er jetzt in völlig verschiedenen Welten lebten. Seit seiner Geburt war diesem Mann ein Platz an der Spitze der Gesellschaft vorbestimmt. Warum hatte sie nie gesehen, wie viel sie beide trennte?
    „Wie du auch nur darüber nachdenken kannst, unseren Sohn zu verlassen!“, knurrte er vorwurfsvoll.
    Was hatte er gerade gesagt? Nur mit größter Anstrengung konnte sie sich wieder auf das konzentrieren, was um sie herum geschah. „Hast du mich nicht gerade eben darauf hingewiesen, dass er nicht mehr lebt?“, erwiderte sie sarkastisch. „Und recht hast du damit. Nikos ist nicht hier, und jeden Sommer an sein Grab zu reisen, obwohl er das ganze Jahr in meinem Herzen ist, scheint mir einfach keine besonders sinnvolle Idee mehr.“
    „Sieh mir in die Augen“, forderte er mit rauer Stimme. „Sieh mir in die Augen, und sag mir, dass dir dieser Ort und diese Insel nichts mehr bedeuten.“
    „Das habe ich nie gesagt! Aber was regst du dich eigentlich so auf? Bis vor ein paar Tagen wusstest du ja nicht einmal, dass ich Nikos überhaupt besuche!“
    „Das tut auch nichts zur Sache.“
    „Na, herzlichen Dank!“, murmelte sie bitter.
    „Nein, ich meinte, dass wir jetzt nicht die Fehler diskutieren müssen, die ich gemacht habe.“
    „Ah, aber dir ist klar, dass du welche gemacht hast! Das ist ja schon mal ein Fortschritt!“
    Resignierend wandte er sich ab, doch selbst diese kleine Bewegung wirkte so vornehm zurückhaltend, so männlich elegant, dass sie den impulsiven jungen Mann, den sie so sehr geliebt hatte und dem sie vor ein paar Nächten auf dem schmalen Bergpfad wiederbegegnet war, nicht mehr wiedererkannte.
    „Du hast ja kaum das Ende der Trauerfeier abgewartet, um mich zu verlassen“, sagte sie tonlos.
    Die Muskeln in seinem Nacken verspannten sich. „Ich konnte es einfach nicht ertragen, die vielen Leute und all das. Ich konnte es einfach nicht.“
    „Und du glaubst, mir ging es besser?“
    „Ich bin ein Mann, Louisa. Für eine Frau ist es okay, vor anderen zusammenzubrechen und zu weinen. Männer müssen immer starke Beschützer sein.“
    Mit einem grimmigen Lachen gab sie zurück: „Was das betrifft, hast du ja wohl gründlich versagt!“
    Als er zusammenzuckte, erkannte sie, dass sie seinen wunden Punkt getroffen hatte. Aber das war ihr gerade völlig egal! Schließlich hatte er ihr so viel schlimmer wehgetan, als er sie damals in ihrem Kummer und ihrer Verzweiflung allein ließ! Auch wenn es schon fünf Jahre zurücklag – das konnte sie ihm einfach nicht verzeihen!
    An dem Tag, als Nikos verunglückte, hatte sie sich furchtbar mit Andreas gestritten. Am Telefon. Weil er unbedingt in Athen bleiben und einen Geschäftstermin wahrnehmen wollte, anstatt wie versprochen mit ihr und seinem Sohn an den Strand zu gehen. „Ich habe keine andere Wahl“, hatte er noch gesagt, ehe sie wütend auflegte und mit Nikos in den Bergen wandern ging.
    Ein heftiges Beben schüttelte ihren Körper, als sie daran dachte, wie der Kleine sich auf einmal von ihr losgerissen hatte, um einem Schmetterling nachzujagen. Wie sie geschrien hatte: „Nein, Nikos! Nicht! Nein!“
    „Du hast mich verlassen, weil du mir die Schuld an seinem Tod gibst“, flüsterte sie.
    Schockiert wandte er ihr das Gesicht zu. „Nein, ganz und gar nicht!“
    Das konnte sie ihm nicht glauben! Warum sollte er ihr nicht die Schuld geben, wenn sie sich doch selbst die Schuld dafür gab?
    „ Niemand konnte etwas dafür“, sagte er sanft und hielt sie am Arm fest, als sie versuchte, sich wegzudrehen. „Es war ein Unfall. Nur ein Idiot würde dich beschuldigen!“
    Was für eine vernünftige und erwachsene Ansicht! Doch vor fünf Jahren konnte er doch noch

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