Arkadien 03 - Arkadien fällt
Er strebt nach einer umfassenden Erneuerung seiner alten Macht, und dazu lässt er seinen Einfluss spielen, weit über Sizilien hinaus.«
Rosa blickte zu Danai, die ihren Vater nicht aus den Augen ließ. Ihr Oberkörper hob und senkte sich leicht, eine wiegende Bewegung, fremdartig inmitten dieses Ungetüms von einem Kleid.
»Ich hab nie verstanden«, sagte Rosa, »warum früher alles so viel besser gewesen sein soll. Was denn eigentlich? Ich bin Arkadierin, aber der Gedanke, Menschenfleisch zu essen … ich meine, ich bin Vegetarierin !«
Thanassis sah mit einem Schmunzeln von ihr zu Alessandro. »Und du als Panthera? Was fühlst du bei der Vorstellung, Menschen zu hetzen und zu zerfleischen?«
Alessandro schwieg, wich Rosas Blick aus, schüttelte dann den Kopf. »Dabei geht’s nicht um Nahrung. Nur darum, zu zeigen, wer der Stärkere ist.«
»Aber das ist kein Instinkt, den nur Tiere kennen«, sagte Thanassis. »Hast du nicht selbst alles getan, um zum capo der Carnevares zu werden?«
»Und dieser Vorwurf kommt ausgerechnet von einem der reichsten Männer der Welt?«
»Kein Vorwurf. Ich habe lange davon geträumt, die Schifffahrt der Weltmeere zu beherrschen. Und für eine Weile ist mir das sogar gelungen. Man muss kein Arkadier sein, um große Ziele zu haben. Doch dem Hungrigen Mann geht es nicht um Reichtum, sondern um die Unterwerfung einer Spezies. Verblendung spielt dabei eine Rolle, vielleicht Wahnsinn. Vor allem aber der Wunsch nach Vergeltung. Menschen waren es, die ihn vor dreißig Jahren hinter Gitter gesteckt haben, und Menschen sollen dafür bezahlen. Aber Rache ist eine kleinliche und beschränkte Motivation. Sie befriedigt nur einen Augenblick lang, wie der Verzehr eines Stücks Schokolade. Die Vorfreude darauf macht oft viel glücklicher als der tatsächliche Akt. Hast du Glück empfunden, als du Cesare Carnevare getötet hast? Oder war da anschließend doch nur eine große Leere?«
Rosa nahm Alessandros Hand. Seine Finger waren sehr kalt.
»Der Hungrige Mann weiß um die Flüchtigkeit dieses Glücksgefühls«, sagte Thanassis. »Deshalb weitet er seine Vergeltung kurzerhand auf die ganze Menschheit aus. Es genügt ihm nicht, die Schuldigen an seiner Verurteilung zu vernichten. Er erhofft sich einen Triumph über Jahre und Jahrzehnte, und er ist bereit, dafür alles aufs Spiel zu setzen.«
Alessandro schien widersprechen zu wollen, aber Rosa hielt ihn zurück. »Er sagt die Wahrheit«, flüsterte sie. »Ich war beim Hungrigen Mann. Ich hab –« In seine Augen gesehen , hatte sie sagen wollen, doch das war nicht richtig. Während der ganzen Zeit, in der sie ihm gegenübergestanden hatte, hatte sie nicht ein einziges Mal sein Gesicht gesehen. Und dennoch glaubte sie, dass Thanassis die Wahrheit sagte.
»Er nimmt alle Menschen für den Verrat an ihm in Sippenhaft?«, fragte Alessandro.
»Ganz recht.« Thanassis gab der Pflegerin erneut ein Zeichen. Sie berührte einen Bildschirm und sogleich vermischten sich in einem der Behälter zwei Flüssigkeiten, die durch einen Schlauch in den Körper des alten Mannes tröpfelten. Er schloss die Augen und holte tief Luft. »Es gibt nur eine Schwierigkeit. Die Menschen sind keine Lämmer mehr, die sich zur Schlachtbank führen lassen. In der Antike mag das anders gewesen sein, es kam den Leuten nicht ungewöhnlich vor, wenn jemand Opfer eines Werwolfs oder einer Riesenschlange wurde. Aber heute? Wie lange wird es wohl dauern, ehe die Armeen der Welt gegen alles vorgehen, was auch nur entfernt nach Arkadier riecht? Die Dynastien sind schon jetzt vom Aussterben bedroht. Gib den Menschen einen Grund, sich zu fürchten, und sie werden versuchen, die Ursache mit Stumpf und Stiel auszurotten. Noch gilt ihre Furcht irgendwelchen Seuchen oder dem Terrorismus. Aber wenn die Dynastien ihre Masken fallen lassen, werden sie eine perfekte Zielscheibe abgeben. Dann werden wieder Scheiterhaufen brennen.«
Eine Anzeige gab Alarm, weil der Herzschlag sich beschleunigte. Seine Tochter streichelte beruhigend seinen fleckigen Handrücken.
»Danai und all die anderen werden als Erste zwischen den Fronten zerrieben werden«, fuhr er fort. »Was wir hier aufgebaut haben, diese Zuflucht für alle, die anders sind – sie wird nicht lange standhalten. Im Moment können wir uns verborgen halten, weil niemand nach uns sucht. Wenn es aber zu einem offenen Krieg zwischen Arkadiern und Menschen kommt, dann wird man sich wieder für uns interessieren und uns finden. Sehr
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