Arto Ratamo 7: Der Finne
zurück. Ratamo war irritiert. Warum hatte man die Leiche gerade nach Mellunmäki gebracht, in die unmittelbare Nähe vielbefahrener Straßen und der Felsen, an denen fortwährend viele Leute unterwegs waren. Wollte der Mörder mit der Wahl des Ortes auf etwas hinweisen?
Er beschloss, die Umgebung zu untersuchen, um herauszufinden, aus welcher Richtung der Tote hierhergebracht worden war. Das erwies sich jedoch als unmöglich: In allen Himmelsrichtungen verlief in der Nähe des kleinen Parks eine mehr oder weniger befahrene Straße. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, überlegte kurz und überprüfte dann alle Wege, die in den Park führten. Es fand sich aber nichts Interessantes. Schließlich klapperte er alle Häuser in den Straßen am Rande des Parks ab und las unten in den Treppenhäusern das Verzeichnis der Hausbewohner in der Hoffnung, dass wenigstens bei einem einzigen Familiennamen die Alarmglocken läuteten. Aber es klingelte nicht.
Die Gegend war ein stinknormales Wohngebiet, nur durch die kleine orthodoxe Kirche im Erdgeschoss eines Mietshauses in der Aarteenetsijäntie unterschied es sich von Dutzenden anderer Neubauviertel in Helsinki. Er beschloss, nach Hause zu gehen, er wollte sich umziehen und den Geruch des Todes vom Körper spülen.
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Helsinki, Samstag, 12. August
Major Rodion Jarkow rutschte mitten im Kakari-Geiko aus und krachte im Dojo der russischen Botschaft ächzend auf die Tatami. Dabei verrutschte die über die kahle Stelle gekämmte Strähne und hing bis auf die Schulter. Die Schamesröte stieg ihm ins Gesicht, das aber ohnehin schon feuerrot war wie ein Hahnenkamm.
»Du solltest deine Ne-Waza üben«, sagte Jarkow verärgert und zeigte seinem Kontrahenten beim Training, dem jungen Dritten Botschaftssekretär, die Tür. Er wartete darauf, dass der junge Mann den Raum verließ, und starrte dabei auf das gerahmte Foto Präsident Bukins. Hoffentlich betrieb das nächste Staatsoberhaupt Russlands irgendeine leichtere Sportart als Judo, beispielsweise Weinverkostung oder Patience. Warum trieb man in Russland das Hofieren der Vorgesetzten immer auf die Spitze?
In dem Moment fielen ihm seine Probleme wieder ein, die mit dem »Schwert des Marschalls« zusammenhingen. Wer hatte Forsman getötet, doch wohl kaum die russische Kirche. Jedenfalls handelte es sich bei dem Scharfschützen um einen Profi, der Mann war auf dem Gelände der Villa in Porkkala wie ein Gespenst im Nichts verschwunden. Vielleicht hatte der britische Nachrichtendienst den Killer geschickt, wenn Olga Gusarowa auch behauptete, London habe es nicht auf das »Schwert des Marschalls« abgesehen.
Jarkow zog seinen Judogi zurecht, schnürte den Obi enger und ließ sich an der Wand auf den Boden gleiten, um sich den Schweiß vom Gesicht zu wischen. War es unkluggewesen, dass er seinen Männern befohlen hatte, Forsmans Leiche in die Nähe der Kirche der heiligen Xenia von Sankt Petersburg zu bringen? Damit sollten die Geistlichen eingeschüchtert werden, sie hatten seine Aufgabe schon genug erschwert. Forsmans Tod machte alles noch schwieriger, nun kannte nur Eerik Sutela das Versteck des Dokuments. Wie sollte er jetzt den Aufenthaltsort des Mannes in Erfahrung bringen, die Frau hatte ihn in die Irre geführt, den Kontakt abgebrochen und ihr Telefon ausgeschaltet. Ihm war alles misslungen. Die Träume von der Beförderung und einem eigenen Haus wirkten nun lächerlich, er konnte sich glücklich schätzen, wenn er am Leben bleiben durfte.
Jarkow ging in die Garderobe, schloss die Tür und las Olga Gusarowas letzte E-Mail zum wiederholten Male.
Es gibt immer weniger Hinweise auf das »Opferbuch«. Wir glaubten, sie hätten 1891 ganz aufgehört, doch dann fanden wir in den Unterlagen der Spionageorganisation »Geheimkanzlei des Senats« endlich etwas. Stefan Scheschkowski, der die Geheimkanzlei in der Zeit Katharinas der Großen leitete, verweist in seinen Notizen im Jahre 1774 auf das »Opferbuch«. Scheschkowski ordnete an, dass der nach der Herrschaft über Russland trachtende falsche Peter III., das heißt, der Donkosak Jemeljan Pugatschow, in einem eisernen Käfig nach Moskau gebracht wurde. Und er verhörte den Mann persönlich, bevor der falsche Peter geköpft und gevierteilt wurde. Unter der Folter verriet Pugatschow, dass Samuel von Krutitsky, der Vorsitzende des Heiligen Synods, ihm vom › Opferbuch ‹ der Kirche berichtet hatte! Aber was, schrieb Scheschkowski in seinen Notizen natürlich nicht.
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