Arto Ratamo 7: Der Finne
beruhigend an. Es hörte auf zu regnen.
Die Finnen krochen vorsichtig weiter, bis sie den Lichtschein der Straßenlaterne verlassen hatten, dann beschleunigten sie ihr Tempo, und hundert Meter von dem Wachhäuschen entfernt standen sie auf. Es dauerte nicht mehr lange, und der erste auf eine Kiefer gemalte gelbe Ring tauchte auf und dann das Zeichen für die Grenzzone. In der finnischen Grenzstation Virtaniemi war kein Licht zu sehen, und auf dem Parkplatz stand kein einziges Auto, also brauchten die drei nicht kriechend in ihr Heimatland zurückzukehren.
Ratamo knirschte mit den Zähnen, atmete die frische Luft tief ein und lauschte der krächzenden Stimme irgendeines Nachtvogels. Als die Grenzstation von Virtaniemi weit hinter ihnen lag, packte er Sutela am Jackenärmel und zog ihn mit solcher Wucht zu sich, dass der lange Lulatsch fast hingefallen wäre.
»Man hat auf mich geschossen, ich musste stundenlangdurch den Wald latschen und wäre fast beim illegalen Grenzübertritt erwischt worden. Das dürfte jetzt genau der richtige Zeitpunkt sein, alles zu erzählen«, blaffte Ratamo nur ein paar Zentimeter von Sutelas Gesicht entfernt, das vor Anspannung ganz verzerrt war.
»Was erzählen? Wovon … redest du?«, stammelte Sutela und schaute Taru, die sich gerade eine Zigarette anzündete, hilfesuchend an.
»Wieso wussten die Russen von dieser Reise? Und warum hat man auf uns geschossen?«, fragte Ratamo und hätte am liebsten verraten, dass er von Sutelas Studium der forensischen Archäologie und von seinem Schwiegervater beim britischen Nachrichtendienst wusste, aber er beherrschte sich. Man sollte nicht gleich alle Karten aufdecken.
Sutela überlegte einen Augenblick, was er sagen sollte. »Ich wusste nicht, was wir dort in der Teufelskirche finden würden. Und ich habe garantiert mit keinem einzigen Russen über diese Reise gesprochen.« Er hob die Arme und hoffte, dass seine Antwort überzeugend klang.
»Na na, Jungs, nun bleibt mal ganz ruhig.« Taru Otsamo hörte sich amüsiert an. »Wie wär’s, wenn Eerik uns erklärt, was diese Dokumente aus der Teufelskirche bedeuten. Warum wollten die Russen sie haben?«
Ratamo schob Sutela, der sich nur mühsam auf den Beinen hielt, weiter von sich. »Eine gute Idee. Dann erzähle uns mal als Erstes, was das ›Schwert des Marschalls‹ ist.«
Sutela setzte sich auf den Rand eines Baumstumpfes direkt neben Taru, schob die Brille zurecht und holte die Wasserflasche aus der Seitentasche seines Rucksackes. Sein Gesichtsausdruck und sein ganzes Wesen änderten sich auf einen Schlag, nun sah er aus wie ein Professor, der sich aus dem Vorlesungssaal in den Wald verirrt hat. »Vom ›Schwert des Marschalls‹ weiß ich genau so viel wie ihr, das heißt, nichts. Aber die Unterschrift
› Cuningas de Rapalum
‹ ist einName, der in der Bannbulle von Sääksmäki erwähnt wird, die Papst Benedikt XII. im Jahre 1340 erlassen hat. Darin wurde über fünfundzwanzig Bauern aus Suursääksmäki der Kirchenbann verhängt, weil sie sich gegen Steuererhöhungen aufgelehnt hatten.« Am liebsten hätte Sutela erzählt, wie sein Vater ihn seinerzeit gezwungen hatte, die Namen dieser Bauern im Schwarzbuch des Turkuer Doms zu pauken, bis er sie auswendig kannte. Er wusste, dass der Brief, den sie in der Teufelskirche gefunden hatten, von seinem Vater stammte. Aber das würde er den anderen nicht verraten.
»Was bedeuten diese Worte …
Cuningas de Rapalum
? Warum standen sie in dem Brief?«, fragte Taru Otsamo mit verblüffter Miene.
»Ich habe das Dokument versteckt … Unterschrift: Cuningas de Rapalum.« Sutela zitierte laut den Text und sah nachdenklich aus. »Rapalum ist der lateinische Name von Rapola, und dort in Rapola, in der Gemeinde Sääksmäki, befindet sich der größte prähistorische Burgberg Finnlands. Ich glaube, der Verfasser wollte damit sagen, dass er das ›Schwert des Marschalls‹ auf dem Burgberg von Rapola versteckt hat.« Um ein Haar wäre ihm herausgerutscht, dass er als zehnjähriger Junge mit seinem Vater in Rapola gewesen war.
»Stimmt das, was da über Lenins Frau geschrieben wurde? Und was bedeutet dieser Abschnitt am Schluss über die Massenmorde in der Antike?«, fragte Taru und trank aus der Wasserflasche, die ihr Sutela angeboten hatte.
»Lenin und die Krupskaja haben sich 1906 wirklich in Kuokkala aufgehalten«, antwortete Sutela und zuckte die Achseln.
Ratamo musterte den Professor, der einen müden Eindruck machte. Dachte sich der Mann das
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