Arto Ratamo 7: Der Finne
durchfuhr seine Hände, Äste stachen ihn, und es raubte ihm den Atem, als er mitten ins Gebüsch fiel. Sutela blickte nach oben, in seinem Kopf rauschte es. Er war aus einer Höhe von mindestens drei Metern abgestürzt, die Angreifer würden ihm kaum hinterherspringen.
Schwankend rappelte sich Sutela auf, schob die Brille zurecht und setzte sich mit unsicheren Schritten in Bewegung. Jeder einzelne Knochen und Muskel schmerzte. Rasch steckte er das Dokument unter seine Jacke und beschleunigte das Tempo, jetzt konnte er schon die Formen des Geländes erkennen. Er wollte nicht zum Auto laufen, sondern irgendwohin, wo ihn niemand suchen würde. Im selben Augenblick hörte er ganz nahe ein metallisches Geräusch und blieb stehen, dann kam etwas auf ihn zugeflogen, und alles wurde schwarz.
Ein Mann griff nach dem Dokument und beschimpfte Sutela, aber der hörte die russischen Worte nicht mehr.
17
Helsinki, Mittwoch, 9. August
Major Rodion Jarkow saß im geräumigen Arbeitszimmer des Chefs der Helsinkier Filiale des russischen Auslandsgeheimdienstes SVR und wich dem starren Blick Präsident Bukins aus, dessen Porträt an der Wand hing. Es schien so, als würde ihm das Staatsoberhaupt über die Schulter schauen und darauf warten, dass er endlich das »Schwert des Marschalls« fand. War Bukin diese »allerhöchste Ebene«, die den Chef des FSB antrieb, das Dokument zu finden? Nur an der Spitze des Machtapparates konnte man einen Befehl erteilen, mit dem ihm die Mitarbeiter sowohl des SVR als auch des militärischen Nachrichtendienstes GRU in Helsinki, insgesamt dreißig Personen, vorübergehend unterstellt wurden. Jarkow gefiel diese ganze Aufgabe mit jeder Stunde, die verging, immer weniger, die Ermordung von Zivilisten wäre das Allerletzte, was er auf seinem Konto haben wollte.
Vorsichtig kostete er den heißen Tee und schaute ungeduldig durchs Fenster hinaus, wo gerade die Straßenbahn auf der Tehtaankatu vorbeiratterte. Das Panzerglas verhinderte, dass die Außengeräusche in die russische Botschaft hereindrangen. Er war von Murmansk über Sankt Petersburg nach Helsinki geflogen, wo jetzt der Brennpunkt des Geschehens lag. Etwas anderes passierte hier derzeit auch nicht, zumindest nicht in der Botschaft, die wie verlassen dalag. Das Geheimdienstpersonal machte angeblich jetzt im August Urlaub, denn die Konferenzen, die in der Zeit des finnischen EU-Ratsvorsitzes stattfinden würden, begannen erst später.
Es war kurz vor Mitternacht, die Zeit schlich dahin. Wo zum Teufel blieb Gataulin, der Chef der Filiale? Schon vor einer Stunde hatte er gemeldet, das »Schwert des Marschalls« sei gefunden. Jarkow stand auf, lief durch das Zimmer wie eine unruhige Katze und wunderte sich, warum sein neuer italienischer Anzug an der Hüfte spannte. Zum Glück brauchte man wenigstens im Ausland keine Uniform zu tragen. Gleich würde er erfahren, welche Geheimnisse das »Schwert des Marschalls« enthielt. Und bald würde er auch befördert werden und könnte für seine Familie das Haus in der Borowskoje Chaussee kaufen. Er würde es mit eigenen Händen vom Keller bis unters Dach sanieren und renovieren.
Gerade als er die Männer des SVR, die er zum Burgberg von Rapola geschickt hatte, zum dritten Mal innerhalb einer halben Stunde anrufen wollte, flog die Tür auf, und Maxim Gataulin kam im schwarzen Tarnanzug mit einer Papierrolle hereinmarschiert.
»Das lief alles wie beim Brezelbacken. Es wurde kein Wort gesprochen und niemand umgebracht. Die Finnen haben keine Ahnung, wer ihnen die Unterlagen gestohlen hat«, sagte Gataulin und knallte das Dokument vor Jarkow auf den Tisch.
Dieser zog die Gardinen zu und öffnete die Rolle. Sein Herz hämmerte wie ein Dorfschmied, endlich würde er erfahren, was …
Ich habe das Dokument versteckt
Beowulfs Vater
Der gleiche Anfang wie in dem Brief aus Jäniskoski: »Ich habe das Dokument versteckt.« Aber eine andere Unterschrift. Jarkow erinnerte sich dunkel, irgendwann etwas über Beowulf gelesen zu haben; das war wohl irgendein Held aus der Geschichte. Er blätterte um.
FINNLAND, Kapitel
2. Winterkrieg
Deutschland und die Sowjetunion schlossen am 23. August 1939 einen Nichtangriffspakt (Molotow-Ribbentrop-Abkommen). Verbunden damit gab es auch ein geheimes Zusatzprotokoll, in dem Osteuropa zwischen Deutschland und der Sowjetunion aufgeteilt wurde. Man legte fest, dass Estland, Lettland, Ostpolen, Bessarabien, das Teil Rumäniens war, und Finnland zur Einflusssphäre der
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