Asche auf sein Haupt: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
zu illustrieren oder den Umschlag eines Romans. Daher war es nicht weiter überraschend, dass sich in der Scheune nicht nur Leinwände und der übliche Malerbedarf häuften, sondern auch eine Vielzahl an Requisiten.
Zurzeit arbeitete ihre Schwester am Umschlagbild einer Neuausgabe des viktorianischen Klassikers Black Beauty . An Referenzmaterial fanden sich ein an einem Haken hängender Damensattel und eine antike Schneiderpuppe, gekleidet in ein rotsamtenes, beinahe hundert Jahre altes Reitkostüm für Damen. Kit verharrte in der Tür, so wie sie es immer tat, um den Kopf des altehrwürdigen Schaukelpferdes zu tätscheln. Das edle Ross hatte Kit und Petra Freude bereitet, als sie noch Kinder gewesen waren, und davor bereits verschiedenen anderen Mitgliedern der Familie. Dieser Tage trabte es nur noch in Form von Bildern durch Kinderbücher. Petra saß mit dem Rücken zur Tür vor ihrer Staffelei. Sie blickte nicht auf – sie war zu sehr auf ihre Arbeit konzentriert.
Kit ging langsam zu ihr und blieb an ihrer Seite stehen, um in geduldigem Schweigen zu warten, bis Petra den Pinsel niederlegte und ihr das Gesicht zuwandte. Sie trug einen Malerkittel. Es war kein besonders schmeichelhaftes Kleidungsstück, doch Kit dachte wehmütig, dass ihre Schwester immer noch eine reizvolle Frau war. Reizvoll, ja, das war das richtige Wort. Ihr dunkelblondes Haar war dicht und lang und wurde von einem Haarreif gehalten. Ihre Haut war makellos und nahezu faltenfrei. Geradezu erstaunlich angesichts der Schmerzen, die sie erlitten hatte, der verschiedenen Operationen und der zermürbenden Anstrengungen der Physiotherapie, um ihre Muskeln zum Reagieren zu zwingen, soweit das noch möglich war. Lediglich in den Augen ihrer Schwester sah Kit die Spuren ihres Leidens – trotzdem lächelte Petra freundlich zur Begrüßung.
»Ich habe nicht mit dir gerechnet heute Morgen.«
»Störe ich?«, fragte Kit.
»Nein, nein. Du kommst zur rechten Zeit. Ich brauche Kaffee. Kaffee in rauen Mengen.« Petra setzte ihren Rollstuhl in Bewegung und sauste durch die Scheunentür. Kit hastete hinterher.
Das Cottage, auf das die beiden Schwestern nun zusteuerten, war ursprünglich nicht als Behausung für Menschen erbaut worden, sondern als Pferdestall. Daher waren die Türen groß und breit und perfekt geeignet für den Rollstuhl ihrer Schwester. Die gewöhnlichen Cottages in der Gegend besaßen ausnahmslos winzige Türen und Fenster, und es gab derart viele Auflagen in Bezug auf den Denkmalschutz, dass sie niemals eine Genehmigung zum Umbau erhalten hätten.
Das Innere von Petras Heim war offen gestaltet, Küche und Wohnraum vereint zu einem großen, sparsam möblierten Ganzen. Lediglich Schlafzimmer und Bad waren abgetrennt vom Rest. Alles war genau auf Petras Bedürfnisse zugeschnitten. »Ich bin glücklich«, pflegte sie oft zu sagen, und sie meinte es ernst.
Es war nicht einfach gewesen, erinnerte sich Kit, ihre Mutter davon zu überzeugen, dass Petra ein eigenständiges Leben führen konnte. Und obwohl Petra es längst bewiesen hatte, nörgelte Mary Stapleton immer noch ständig herum. In gewisser Weise war es verständlich. An den Unfall hatte sich eine grausame Zeit voller Zweifel angeschlossen, ob Petra jemals wieder in irgendeiner Form selbstständig sein konnte. Doch die Ärzte, welche die Zweifel äußerten, kannten Petra nicht. Sie hatte sich niemals aufgegeben. Die Kraft in ihrem Oberkörper war zurückgekehrt, lediglich ihre Beine waren mehr oder weniger unbrauchbar geblieben. Ohne ihren Rollstuhl war sie auf die beiden Krücken angewiesen, die im Flur gleich neben der Eingangstür an der Wand standen. Kit sah ihrer Schwester zu, wie sie sich aus dem Rollstuhl kämpfte. Sie reichte ihr die Krücken, und Petra brummte ein mürrisches »Danke«. Die Familie wusste, dass man sich auf dünnes Eis begab, wenn man Petra physische Hilfe irgendwelcher Art anbot. »Wenn ich Hilfe brauche, frage ich!«, sagte Petra jedes Mal aufgebracht.
Dennoch sagte Kit jetzt entschieden: »Du hast dich so abgemüht mit diesem Gaul, lass mich den Kaffee machen.«
»Ich kann das selbst«, widersprach Petra, als hätte sie den Satz kommen sehen.
»Natürlich kannst du das. Das bestreite ich doch gar nicht. Ich habe nicht gesagt, dass du es nicht kannst. Trotzdem, lass mich den Kaffee machen, ja? Ich mache es gerne.«
»Also schön, wenn es sein muss.« Die Worte klangen schroff, doch Petra grinste. Sie führten diese Diskussion jedes Mal, wenn Kit
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