Asche auf sein Haupt: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
Feingefühl mangelt, so erklärt das nicht, warum er Petra Stapleton besucht hat. Irgendetwas steckt dahinter, etwas, das nur die betroffenen Personen wissen. Ob es mit dem Feuer zu tun hat, ist eine andere Frage. Ich würde gerne wissen, was es ist – und wenn nur aus dem einen Grund, dass wir es vom Tisch fegen können.«
Sie beendete das Gespräch und saß schweigend mit dem Mobiltelefon in der Hand hinter dem Steuer ihres parkenden Wagens. Sie musste an Kit Stapleton denken. Kit lehnte Gervase vehement ab, und vermutlich hatte sie auch gute Gründe dafür. Doch sie wiederholte es immer wieder. »Die Wurzeln für all das reichen sicher weit in die Vergangenheit«, sagte sie laut zu sich selbst. »Kit schildert eine überarbeitete Version der Ereignisse, so wie ich sie sehen soll. Ich muss mit anderen Personen reden. Irgendjemand muss etwas wissen.«
Sie startete den Motor, und in dem Augenblick fiel ihr Blick auf die schmale Abzweigung ein Stück weit die Straße hinunter. Dort lag Mullions, das Haus Muriel Pickerings. Phil hatte Muriel bereits befragt, und auch Jess hatte einige Unterhaltungen mit ihr geführt. Doch sie war eine Einheimische, und vielleicht war es die Mühe wert, noch einmal mit ihr zu reden. Zwar gehörte Muriel nicht zu der schwatzhaften Sorte, doch wenn Jess beharrlich blieb, rückte sie vielleicht mit ein paar Informationen heraus.
Muriel war vermutlich noch bei Petra Stapleton auf The Barn, darauf bedacht, die Künstlerin auf Hamlets Vorzüge hinzuweisen. Eine gute Gelegenheit, um in Abwesenheit der Eigentümerin einen Blick auf Mullions zu werfen. Jess fuhr langsam los und bog in die schmale Gasse ein, die Muriel ihr beschrieben hatte. Auf einem verbeulten Straßenschild, das vermuten ließ, dass irgendwann vor längerer Zeit vermutlich ein Lastwagen versucht hatte zu wenden, stand der Name der Gasse: Long Lane. Der Weg war schmal und kurvenreich, was auf seinen Ursprung als Pfad zwischen Feldern hindeutete. Jess fragte sich, wie weit er führte und wo er endete. Etwa eine halbe Meile voraus lag ein Waldstück. Vielleicht endete er dort? Eine weitere Kurve, und sie bremste. Sie hatte Muriels Haus erreicht.
Nicht nur sein plötzliches Auftauchen hinter der Biegung war eine Überraschung. Jess hatte ein Cottage erwartet, die ehemalige Behausung eines Schäfers oder Wildhüters. Doch Mullions war ein beeindruckendes altes Herrenhaus, groß und hoch aufragend und mit Mansardenfenstern im Dach, aus denen man das ganze Land ringsum überblickte. Mitten auf dem Dach befand sich ein eigenartiger kleiner Turm, der aussah wie ein ehemaliges Taubenhaus.
Taubenhaus oder nicht, das Gebäude erweckte den Eindruck eines ehemaligen Pfarrhauses, oder vielleicht war es auch das Haus eines Grundbesitzers gewesen. Ganz sicher nicht die Unterkunft eines einfachen Arbeiters oder Bauern. Alles wirkte ein wenig vernachlässigt. Der Garten war verwildert, der Anstrich blätterte ab. Jess hielt am Straßenrand, für den unwahrscheinlichen Fall, dass ein anderes Fahrzeug diesen Weg nahm und vorbeiwollte. Dann stieg sie aus.
Der Zugang zum Grundstück war versperrt von einem primitiven zweiflügeligen Tor aus Holz und Maschendraht. Das Tor hing an rostigen Scharnieren zwischen Pfosten und trug ein Schild. BITTE TOR SCHLIESSEN. NUTZVIEH. Jess blickte sich um. Keine Spur von Tieren. Sie löste die Seilschlinge über einem Pfosten, die das Gatter geschlossen hielt, und öffnete es vorsichtig.
»Hallo!«, rief sie der Form halber. Sie nahm an, dass Muriel alleine lebte, doch vielleicht irrte sie sich. Niemand ließ sich auf ihr Rufen hin blicken. Sie legte die Schlinge wieder über den Pfosten, um das Tor dem Wunsch des Eigentümers entsprechend geschlossen zu halten, und näherte sich dem Haus. Sie schirmte die Augen mit beiden Händen ab und spähte durch ein Fenster, hinter dem sich das Wohnzimmer zu befinden schien.
»Du meine Güte!«, murmelte sie. »Was für eine Müllhalde!«
Der Raum war überladen mit dunklen, abgenutzten Möbeln. Einige Ölgemälde, so stark nachgedunkelt, dass die Motive nicht zu erkennen waren, hingen an den vergilbten Wänden. Zerknitterte Zeitungen, Bücher, Geschirr von einer länger zurückliegenden Mahlzeit, alles lag kreuz und quer durcheinander auf mehreren kleinen Tischen, Sesseln und dem Teppich. Das Innere von Mullions schien sich in einem ähnlich heruntergekommenen Zustand zu befinden wie das Äußere. Vor dem offenen Kamin meinte Jess einen Zinkeimer mit Holzscheiten zu
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