Aschenputtel: Thriller (German Edition)
wo ihr Hals in den Brustkorb überging. » Ich weiß es eigentlich gar nicht.«
Dann senkte er das Streichholz und ließ die zuckende Flamme über ihre Haut lecken.
Alex Recht und Hugo Paulsson trafen sich mit Sara Sebastiansson und ihren Eltern ungefähr eine Stunde, nachdem sie Lilian identifiziert hatten, in einem sogenannten Familienraum. Warme Farben an den Wänden, weiche Sessel und Sofas. Ein Tisch in dunklem indischem Holz. Keine Dekoration in Form von Bildern, Zeichnungen oder Fotos. Aber eine Schale mit Obst.
Alex richtete den Blick auf Sara Sebastiansson. Im Unterschied zu damals, als sie das Paket mit den Haaren und dann die erste Todesnachricht erhalten hatte, wirkte sie jetzt beinahe gefasst. Mit Betonung auf » wirkte«. Alex hatte in seinen Berufsjahren schon genügend leidende und trauernde Menschen gesehen, um zu wissen, dass Sara Sebastiansson noch einen sehr langen Weg vor sich hatte, bis sie zu etwas würde zurückkehren können, das auch nur annähernd einem Alltag glich. Trauer hatte so viele Gesichter, so viele Phasen. Irgendjemand hatte einmal gesagt, Trauer zu tragen sei wie auf dünnem Eis zu gehen. Im einen Moment fühlt sich alles ganz erträglich an, und im nächsten bricht man plötzlich ein und stürzt in tiefste, böse Finsternis.
Im Augenblick schien Sara Sebastiansson auf einem sehr kleinen, aber doch festen Stückchen Eis zu stehen. Alex merkte, dass er sie distanziert betrachtete. Sie war nicht richtig zugegen, aber auch nicht abwesend. Ihre Augen waren vom Weinen immer noch rot und geschwollen, und in der einen Hand hielt sie ein kleines Stück Papier. In unregelmäßigen Abständen hob sie es an und hielt es sich unter die Nase. Den Rest der Zeit ruhte ihre Hand regungslos auf ihrem Schoß.
Die Eltern saßen schweigend mit feuchten Augen da.
Hugo war es, der schließlich die Stille durchbrach. Erst bot er Kaffee an. Dann Tee. Und dann versprach er, dass das Gespräch nicht allzu lange dauern würde.
» Wir fragen uns natürlich, warum Lilian hierher nach Umeå gebracht wurde«, übernahm Alex die Befragung zögerlich. » Hat Ihre Familie irgendeine Verbindung zu der Stadt oder der Umgebung?«
Erst wurde es ganz still. Dann antwortete Sara selbst.
» Nein, wir haben keine Verbindung hierher«, sagte sie leise. » Gar keine. Gabriel auch nicht.«
» Und Sie sind auch noch nie zuvor hier gewesen?«, fragte Alex.
Sie schüttelte den Kopf. Es war fast, als würde er lose auf dem Hals sitzen, so kippte er nach rechts und links.
» Doch, ein einziges Mal. Meine beste Freundin Maria und ich haben hier den Sommer nach dem Abitur verbracht«, flüsterte sie und räusperte sich dann. » Aber das ist– wie lange her? Siebzehn Jahre. Ich habe ein Stück außerhalb der Stadt einen Schreibkurs in der Volkshochschule besucht, und dann habe ich dort einen Sommerjob als Assistentin bei einem der Lehrer angeboten bekommen. Aber das war nur eine kurze Zeit, vielleicht insgesamt drei Monate.«
Alex sah sie gedankenverloren an. Trotz der Müdigkeit und der Trauer, in die ihr ganzes Gesicht wie eingebettet zu sein schien, konnte er ein ganz kleines Zucken in ihrem Augenwinkel sehen, als sie sprach. Irgendetwas irritierte sie; etwas, das nichts mit Lilian zu tun hatte.
Die Unterlippe zitterte ein wenig, das Kinn schob sich vor. Obwohl sich Tränen in ihren Augen sammelten, die überzulaufen drohten, sah sie fast ein wenig trotzig aus.
» Haben Sie hier Bekanntschaften geschlossen? Vielleicht mit einem Mann?«, fragte Alex vage.
Sara schüttelte den Kopf.
» Nein«, sagte sie. » Natürlich habe ich in dem Kurs ein paar nette Leute kennengelernt. Einige von ihnen wohnten hier in der Stadt, sodass man sich ab und zu traf, vor allem nachdem ich anfing, an der Schule zu jobben. Aber Sie wissen ja, wie das ist, man fährt nach Hause, und dann kommt einem Umeå so wahnsinnig weit weg vor. Die meisten habe ich ehrlich gesagt vergessen.«
» Und Sie haben sich hier auch keine Feinde gemacht?«, fragte Alex vorsichtig.
» Nein«, sagte Sara und schloss kurz die Augen. » Nein, sicher nicht.«
» Und Ihre Freundin?«
» Maria? Nein, sie auch nicht. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Wir haben heute keinen Kontakt mehr.«
Alex lehnte sich auf dem Stuhl zurück und signalisierte Hugo, dass er seine Fragen stellen könnte, wenn er wollte. Sowohl Alex als auch Hugo waren zögerlich, was die Verbindung zu dem Schreibkurs anging, doch sicherheitshalber notierte Hugo die Namen der
Weitere Kostenlose Bücher