Ash Mistry und der Zorn der Kobra (German Edition)
war von Gras bedeckt, doch dort, wo das Gras abgewetzt war, kam blanker Stein zum Vorschein. Ash warf einen Blick zurück zu dem Strand, von dem aus er aufgebrochen war. Gehörten diese steinernen Quader ebenfalls zu der Straße, auf die sie im Dschungel gestoßen waren? Wo endete dieser Weg? Irgendwo mitten im Meer?
Savage berührte den Schal um seinen Hals. »Das kannst du nun lockern.«
Jackie stand nur einen Sprung weit weg. Trotzdem nahm Ash dem Engländer das Tuch ab und wickelte es sich wie eine Schärpe um die Taille.
»Danke«, sagte Savage. »Und nun an die Arbeit.« Er hob seinen Stock und spähte in die Ferne. Seine Lippen bewegten sich stumm, während sein Stab mit knappen, schnellen Bewegungen Symbole in die Luft schnitt.
Der Boden begann zu zittern.
»Was machen Sie?«, wollte Ash wissen.
»Dinge, die du nicht glauben würdest, Junge.« Savage zeigte mit seinem Stab aufs Meer. »Ich gehe davon aus, dass du von Lanka gehört hast?«
»Natürlich. Ravanas Königreich.«
Savage grinste. Diesen Ausdruck kannte Ash, er war voll angsterregender Gier und Besessenheit. »Im Herzen des Meeres. Und Ramas Armee, als er anrückte, um Ravana entgegenzutreten, war auf dem Land dort gefangen, unfähig, die See zu überqueren.«
Ash schüttelte den Kopf. »Stimmt nicht. Ramas Armee hat Lanka angegriffen. Rama hat sie eine Brücke errichten lassen, die über das ganze Meer reichte …«
Er blickte auf die Steinplatten unter seinen Füßen.
»Keine Brücke, einen Damm«, berichtigte Savage. »Das war vor viertausend Jahren. Damals war der Meeresspiegel noch niedriger. Inzwischen ist der Damm fünfzehn Meter tief in den Fluten versunken.«
Die Wellen erhoben sich und preschten gegen die Insel. In der Ferne gewann der Sturm immer mehr an Fahrt. Große, grelle Blitze zerschnitten die sich zusammenballenden Wolken. Der Wind hob zu einem Heulen an und zerrte an Ashs Beinen.
»Lanka war ein Reich aus mehreren Inseln«, fuhr Savage fort, »genährt von Ravanas Zauberkraft. Als er starb, verschwanden sie eine nach der anderen im Meer. Sie sind noch immer da, nur viele Hundert Fuß tief. Doch genau dort werden wir finden, was wir suchen.«
Rings um sie herum gerieten Felsen und kleine Steine ins Rollen und purzelten übereinander. Die Erde wölbte und hob sich, bog sich wie ein Sprungbrett. Ein Loha-Mukha nach dem anderen drehte sich der See zu und betrachtete das Unwetter.
»Ich gebiete über die Elemente, Ash«, erzählte Savage. »Luft, Wasser, Feuer und Erde. Ich kann selbst die Felsen zum Tanzen bringen. Und was sonst sind diese hier«, er spreizte die Hände, um sein Statuenheer mit einzubeziehen, »außer Steine, die durch mich zum Leben erweckt wurden?«
Gebannt sah Ash zu, wie sich Steinplatten aus dem Wasser erhoben. Mit Algen und Korallen bewachsen und besiedelt von zahllosen Flusskrebsen, durchbrachen sie die Oberfläche und bildeten eine Straße über dem Ozean.
»Sie beschwören die Straße nach Lanka«, wisperte Ash.
»Ganz recht«, zischte Savage. Sein Gesicht war starr vor Anstrengung. Seine Haut schälte sich ab und sein Körper welkte dahin und veränderte seine Form, während seine Lebensenergie in den Zauber floss. Ash betrachtete die blauen Adern, die unter der hauchdünnen Haut pulsierten. Dann fiel Savage vornüber, so alt und gebrechlich wie ein Skelett. Sein weißes Haar fiel gleich büschelweise aus. »Allerdings nicht nur die Straße.«
Inzwischen hatte der Sturm seinen Zenit erreicht. Zwanzig Meter hohe Wellen brandeten mit ungezügelter Wucht gegen die Felsen, gefolgt von hohen Fluten und begleitet von Winden, die selbst die schweren Statuen zum Schwanken brachten. Blendend helle Blitze zerrissen den schwarzen Himmel und der Donner grollte so laut wie die Schreie der Götter.
Palasttürme, uralt, gewunden, schwarz und grausam, durchstießen die brodelnde See. Ash sah zu, wie sich hohe Minarette, stämmige Schlösser und Korallengärten aus den Tiefen des Ozeans schoben. Wasser ergoss sich über die Wege und Dächer wie Flüsse, die von den höchsten Punkten der Paläste ins Meer strömten.
Lanka, Ravanas Hauptstadt, erhob sich.
Kapitel 40
Savage brüllte. Sein Gesicht verzerrte sich und schwoll an, seine Knochen streckten sich und schmolzen, als der Rückprall des Zaubers auf ihn niederfuhr. Die Schädel auf seiner Brust pulsierten leuchtend. Seine Gesichtszüge zerrannen wie Wachs unter einem Bunsenbrenner, verliefen und nahmen abartige neue Formen an und sein Körper
Weitere Kostenlose Bücher