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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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»Ben.«
    »Hi.«
    Sie musterten einander wortlos. Irgendwo am Ende des Korridors klingelte ein Telefon. Eine Tür schlug zu. Zoë überlegte – wie sollte sie wohl Ben behandeln? Wie würde ein normaler, erwachsener Mensch damit umgehen, was zwischen ihnen vorgefallen war? Sie wusste es nicht. Hatte keinen Schimmer.
    Schließlich rettete Ben sie, indem er fragte: »Hast du schon gehört?«
    »Was gehört?«
    »Von Ralph?«
    »Was ist mit ihm?«
    »Ich dachte, du solltest es als Erste erfahren.« Er schaute zu ihrem Whiteboard hinüber. Ralphs Name stand darauf und war mit einer dicken roten Linie durchgestrichen. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass Ben dunkle Ringe unter den Augen hatte. Er hatte viel gearbeitet. »Ralph hat versucht sich umzubringen. Vor zwei Stunden. Seine Mutter hat ihn gefunden.«
    »O Gott.« Sie dachte daran, wie Ralph hier auf dem Boden gesessen hatte, mit dem Rücken an der Wand, und wie seine Tränen auf den Teppich getropft waren. »Wird er durchkommen?«
    »Das weiß man noch nicht. Aber er hat eine Mitteilung hinterlassen. Einen Zettel, auf dem stand: ›Lorne, es tut mir leid.‹«
    Zoë lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, legte die Hände auf die Oberschenkel und schloss die Augen. Die lange, harte Plackerei der letzten paar Tage lag ihr schwer in den Gliedern.
    »Zoë?«
    Sie senkte das Kinn, klappte ein Auge auf und richtete es auf ihn. »Ja?«
    Er kratzte sich am Kopf, warf noch einen Blick auf das Whiteboard und sah sie dann wieder an. »Nichts«, sagte er. »Nichts. Ich fand nur, du solltest es wissen.«

14
    Sally brauchte eine ganze Weile, um nach dem Traum wieder einzuschlafen, und ihr war, als habe sie nur ein paar Minuten geschlafen, als Steves Wecker losging. Er müsse zu einem Meeting nach London, hatte er ihr gesagt. Worum es ging, hatte er nicht erwähnt, aber sie wussten beide, dass er sich mit Mooney treffen würde. Um das Geld zu holen. Er duschte und zog sich an, und Sally blieb liegen und versuchte, die letzten Reste des Traums abzustreifen. Er frühstückte nicht, sondern ging unruhig umher, trank eine Tasse Kaffee und suchte seine Schlüssel und sein Navi. Sally solle ihn nicht anrufen, sagte er. Er werde sich bei ihr melden.
    Dann saß sie im Morgenmantel am Fenster und sah zu, wie der Wagen nach links aus der Zufahrt und über einen schmalen Weg in den Wald hineinfuhr. Dort irgendwo hatten sie – ganz im Stil der Fünf Freunde – unter einem Baum ein Loch gegraben und eine Blechdose mit Davids Zähnen und seinem Ring hineingelegt. Sie wartete am Fenster, bis Steves Wagen zwanzig Minuten später wieder aus dem Wald kam und an der Zufahrt vorbeirauschte. Ja. Er würde zu Mooney fahren. Er würde das Geld holen. Und morgen würde er nach Amerika fliegen und diese andere Angelegenheit zu Ende bringen. Er hatte alles im Griff, dachte sie. Das musste er auch in seinem Job. Sie beneidete ihn darum. Er hatte keine Ahnung, wie es zurzeit in ihrem Kopf aussah. So viel Durcheinander und Verwirrung. Und diese furchtbare Befragung durch Zoë gestern.
    Im Garten lag ein Berg trockenes Reisig, das sie im Dezember gesammelt hatte. Sie war noch nicht dazu gekommen, es zu verbrennen. Im Winter war es nass und modrig geworden, aber in den letzten Tagen hatte die hohe, helle Sonne es getrocknet. Zur Arbeit musste sie erst am Mittag, und sie hatte keine Lust, im Cottage zu hocken und daran zu denken, dass Steve morgen verreisen würde, oder an das seltsame Leuchten in Zoës Blick, als sie gefragt hatte: »Warum bist du nervös, Sally?« Sie zog Jeans und Gummistiefel an und trug alles zusammen, was sie brauchte, um ein großes Feuer zu machen. Aus der Garage holte sie den Kanister Paraffin, das sie benutzt hatten, um Davids Sachen und ihre blutigen Kleidungsstücke zu verbrennen. Ihre alten Gartenhandschuhe waren im Treibhaus. Sie hatten monatelang auf dem Fensterbrett gelegen und waren zu steifen Lederklauen vertrocknet. Sie musste sie knicken und weichkneten, bevor sie sich über die Hände streifen ließen.
    Die Stelle, an der sie fünf Nächte zuvor das Feuer gemacht hatten, war schwarz und grau und voller Asche. Eine Schraube oder ein Nagel – sie wusste nicht, woher – steckte im Boden. Sie wühlte ihn mit der Fußspitze tiefer in die Erde und warf dann das Reisig auf die Stelle. Sie ging hin und her durch den Garten, bis Flechten an ihren Kleidern hingen und eine lange Spur von Reisigteilchen sich über den Rasen zog. Der Umgang mit dem Paraffin war einfacher, als sie

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