Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
harten Schlägen aus ihrer Brust zu befreien. Schwer atmend zählte sie bis zwanzig, bis das Rauschen in ihrem Kopf nachließ und das Ding in ihrer Brust zu hämmern aufhörte.
Sie öffnete die Augen und sah, dass Steve sie abwartend beobachtete.
»Okay«, murmelte sie. »Okay. Wo fangen wir an?«
»Mit dem Gesicht«, sagte er gepresst. »Denn das ist der schlimmste Teil. Wir fangen mit dem Gesicht an.«
40
Die Wirkung des Whiskys ließ schnell nach. Sie hielten sich aufrecht, indem sie einen Timer auf fünfzehn Minuten stellten. Dann zwangen sie sich dazu, diese fünfzehn Minuten zu arbeiten, aber sowie der Timer klingelte, rissen sie sich die Gummihandschuhe herunter, warfen sie auf die Plastikfolie neben David Goldrabs Überresten und liefen in die Garage. Dort wandten sie der Scheußlichkeit auf dem Rasen den Rücken zu, tranken wieder einen Whisky und spülten ihn mit Wasser herunter. Sie sprachen nicht; sie tranken schweigend und schauten einander dabei in die Augen, als müssten sie ein lebendes menschliches Wesen ansehen. Fleisch sehen, in dem sich Blut und Wärme und Leben bewegte.
»Wir können nicht weitertrinken«, sagte Steve. »Wir müssen noch fahren.«
Sally ließ den Blick hinaus zu der Plastikplane wandern. Schleimig violette Klumpen glitzerten dort im Mondlicht.
Steve erklärte immer wieder, er wisse ganz genau, wie die Polizei arbeite: Ohne Leiche und ohne Motiv könnten sie nirgends anfangen. Menschliche Überreste, behauptete er, seien leichter zu verstecken, als alle glaubten; die meisten Kriminellen hätten nur nicht genug Zeit, Mittel und Eier in der Hose, um ihre Opfer richtig verschwinden zu lassen. Dabei sei es einfach, wenn man nur nicht zu zimperlich sei, die menschliche Herkunft der Überreste unkenntlich zu machen. Dann könne man sie unmittelbar vor der Nase der Polizisten verstecken, und sie würden daran vorbeigehen. Sally hatte den Verdacht, dass er redete wie einer, der wusste, was er tat, um sie zu beruhigen. Aber sie sagte nichts.
»Von jetzt an ist es leichter«, sagte er. »Das Schlimmste haben wir hinter uns. Wir können aufhören mit dem Whisky. Und wir sollten etwas essen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde nie wieder essen.«
»Ich auch nicht. Ich sage nur, wir sollten.«
Sie gingen wieder hinaus und machten sich daran, die einzelnen Stücke auf acht Haufen zu verteilen. Mit einer Zange brach Steve ein paar Zähne aus Davids zertrümmertem Unterkiefer. In der Garage war nirgends eine Schraubzwinge; deshalb musste er den Kiefer zwischen die Knie klemmen, um ihn festzuhalten. Sally machte Fotos mit seiner Handykamera. Sie hörte das Knirschen von reißendem Bindegewebe, als die Zähne sich aus dem Knochen lösten, und sie wusste, sie würde dieses Geräusch nie mehr vergessen. Steve befestigte einen spiralförmigen Klingenaufsatz, der zum Mischen von Farbe gedacht war, am Elektrobohrer, und zusammen warfen sie Fleisch- und Knochenstücke in einen Eimer. Sie umspannten die Bohrmaschine mit Plastikfolie, damit der Inhalt nicht herausspritzen konnte, und dann schaltete Steve den Bohrer ein, stieß ihn immer wieder in den Eimer und zermahlte die Stücke zu Brei.
Gegen ein Uhr morgens war er schweißgebadet, und auf dem Rasen standen zehn Plastiktüten, prall gefüllt mit einer undefinierbaren roten Masse. Sally meinte, sie sollten ein Gebet sprechen oder so etwas. Den Tod mit irgendeiner Geste zelebrieren.
»Glaubst du, da oben ist jemand, der sich so ein Gebet anhört?«
»Ich weiß es nicht.« Sie stand in der Einfahrt, wie gebannt von den Plastiktüten. »Vielleicht ist es nicht so wichtig, ob wir es glauben. Vielleicht kommt es nur darauf an, ob er es geglaubt hat. David.«
Steve schüttelte den Kopf. »Entschuldige, Sally, aber wir haben einfach keine Zeit für Lehrstunden in Moral. Wenn es da oben einen Gott gibt, dann verschwende Seine Zeit nicht damit, dass du für David Goldrabs Seele betest. Bete einfach – so gut du nur kannst.«
»Wofür?«
»Für uns.«
41
Die Wolken verzogen sich, und der Mond hockte tief und gleißend über dem ländlichen Somerset. Sally stellte ihre Marmeladenkochtöpfe auf dem Rasen auf, füllte sie mit Kalkentferner und säuberte alles, was sie benutzt hatten – die Bohrmaschine, die Motorsäge, die Plastikplane, die Tüten. Dann zerschnitt sie das ganze Plastik in kleine, briefmarkengroße Quadrate und stopfte sie in einen Müllsack. Unterdessen warf Steve die Kleidung, die sie getragen hatten – und auch die
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