Auch Santiago hatte einen Hund
unangeleint und in einiger Entfernung von uns, kennen lernen und beschnuppern lassen, hatten uns selbst auch besonders überschwänglich und mühsam das Lachen verbeißend umarmt, damit die beiden Hunde ja sahen, dass niemand und nichts zu verteidigen war - doch umsonst. Wir mussten ständig auf der Hut vor Rolfs Attacken sein und Ajiz möglichst weit von ihm entfernt halten. Stressig. Ajiz, verzeih mir, einem neuen Hund werde ich das nicht mehr antun!
Ansonsten gab es nur einen Umstand, der unseren Aufenthalt in Tunis von einem Aufenthalt in einem beliebigen anderen südlichen Land am Meer unterschied: Wenn ich mit Ajiz an der Leine durch die Straßen ging, stellte ich fest, dass die meisten Menschen, vor allem Frauen und Kinder, sobald sie uns sahen, fluchtartig auf die andere Straßenseite wechselten. Woher kam diese Angst? Ich vermute, es hängt damit zusammen, dass der Hund in der arabisch-islamischen Gesellschaft einen anderen Stellenwert hat. Einerseits gilt er überhaupt als unrein; andererseits, wenn jemand einen Hund besitzt, ist es meist ein Jagd- oder Wachhund, ein Luxus, den sich bloß Reiche leisten können und der für Ärmere, also die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in den Ländern der Dritten Welt, unerschwinglich ist. Nur selten ist der Hund außerdem, wie bei uns, Freund und Gefährte, ja, Familienmitglied. Ein Hund wie Ajiz, noch dazu in Begleitung eines Ausländers, mitten in der Stadt, flößt da eher Respekt und Furcht ein, nicht Neugier und Wohlwollen. Fazit: Hunde bei Reisen in die Dritte Welt lieber zu Hause lassen.
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SONNTAG, 18. JULI
KLOSTER MAUMONT - AUBETERRE
Während der Nacht hat sich endlich das seit Tagen in der feuchtigkeitsgeschwängerten Luft hängende Gewitter entladen. Zwei Stunden lang tobten sich Blitz und Donner anscheinend direkt über meinem Kopf aus, an Schlaf war nicht zu denken. Dafür schlief ich nachher in der frischen, abgekühlten Nachtluft umso besser.
Der Himmel ist bedeckt, leichter Regen begleitet mich früh am Morgen zur Kirche, wo ich an den Laudes, dem Morgengebet der Klostergemeinschaft, teilnehme. Die 45 Minuten Andacht und Gesang (und eigentlich wollte ich heute möglichst zeitig aufbrechen!) werden gegen Ende hin schon beinahe vom Knurren meines hungrigen Magens übertönt; schließlich kann ich aber auch meine leiblichen Bedürfnisse bei einem kräftigen Frühstück befriedigen. An die fünf Stunden verbringen die Nonnen wohl täglich in der Kirche! Ich würde das nicht schaffen, ich zähle mich eher zu den Tatmenschen. Vor dem Schlafengehen habe ich mich länger mit den zwei Ehepaaren unterhalten, deren Töchter in den Orden eingetreten sind - eine lebt seit sieben Jahren in einer Neugründung des Ordens in Guinea. Nur alle drei Jahre kommt sie für zwei Monate ins Mutterkloster - hart für die Eltern. Zum Klosterleben muss man wohl wirklich berufen sein. Ich bin’s nicht, bin aber heilfroh und dankbar, dass es Ordensleute gibt. Für Pilger sind und waren sie immer schon extrem wichtig, und ihr soziales Engagement ist auch nicht ohne. Oft kritisiert man sie als weltfremd, verschlossen, lebensfeindlich (was meine Erfahrungen in Frankreich in keiner Weise bestätigen); doch man sollte fair sein, sich bemühen, sie kennen zu lernen, und sich nicht von Vorurteilen leiten lassen.
Der heutige Tag zeigt sich, wie schon in der Nacht angekündigt, von einer extrem nassen Seite. Bei teilweise strömendem Regen geht es durch eine stark kupierte Landschaft steil bergauf, bergab, sodass ich in Summe auch ohne größere Erhebung auf einige hundert Meter Höhenunterschied komme. Die äußeren Bedingungen sind also miserabel: Ein grauer, deprimierender Himmel hängt knapp über meinem Kopf; Wasser von oben und Wasser von innen (aufgrund der nach wie vor drückenden Schwüle bin ich bald vollkommen durchgeschwitzt); meine Füße durchdringt bleierne Müdigkeit; und ich bin mutterseelenallein in dieser grauen Einöde. Aber dennoch fluche ich nicht, jammere ich nicht, möchte ich nicht den Rucksack hinschmeißen und an Aufgeben denke ich schon gar nicht. Gut aufgelegt oder euphorisch bin ich natürlich auch nicht, hab gar keinen Grund dazu. Fast gleichmütig, schicksalsergeben, trotte ich vor mich hin und träume vom Ankommen. In einer Woche erreiche ich LA REOLE, wo meine Freunde Finou und Manu mit ihren Kindern leben. Gestern Abend habe ich beschlossen, dass ich auf jeden Fall bis dorthin gehe, komme, was da wolle; bis LA REOLE ist jeder Gedanke
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