Auf dem Weg zu Jakob
gehen soll.
Nach einer halben Stunde körperlicher Schwerstarbeit habe ich die Kammhöhe erreicht. Ich verpuste mich. Am Rand der Schnellstraße nehme ich ein paar Mohnblumen, Margariten und wieder diese gelben Blüten wahr, wie in Bouquets arrangiert, aber so richtig sinkt das nicht ein. Ich will auf den Campingplatz. Hier oben ist eine Abzweigung nach Estella. Estella liegt wieder unten. Zum Glück. Aber wäre ich gleich über Villatuerta gefahren, hätte ich mir diesen blöden Autobahnhügel schenken können. Das wird mir allerdings erst viel später bewusst.
Die verkehrsreiche Einfahrt nach Estella finde ich ziemlich hässlich. Irgendwie habe ich die Orientierung verloren, von wo aus ich in den Ort gelange. Ich frage jemanden. Ja, zum Campingplatz müsste ich schon auf dieser Straße bleiben, sie führe dann noch durch einen Tunnel, und dann sollte ich vielleicht noch mal fragen. Tunnel? Kommt nicht in Frage, sage ich mir, nicht mit diesem ganzen Verkehr hier. Tunnel sind dunkel, gefährlich, und die Luft ist voller Abgase. Es muss einen anderen Weg geben. Ich studiere meine Karte. Wenigstens weiß ich jetzt, wo ich mich befinde. Ich entscheide mich, die Ortsumgehung zu verlassen und in den Ort hinein abzubiegen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es von dort aus keine andere Zufahrt zum Campingplatz gibt.
Endlich auch mal eine richtige Entscheidung. Ich fahre jetzt dem Pilgerweg entgegen durch die Calle Rúa und gelange prompt zur Pilgerherberge. Ich gehe hinein, um mir meinen Stempel abzuholen und auch nach dem Weg zum Campingplatz zu fragen. Und wen sehe ich? Die Holländer, die mir gestern Abend versichert hatten, dass die nächsten Etappen total eben wären. Die kommen mir nicht davon, ohne dass ich bei denen noch einen Spruch lasse. Na ja, so richtige Berge waren es doch nicht, oder? Wohl wahr. Galt es am Vortag den 678 m hohen Perdón-Pass zu überwinden (der Höhenunterschied zu Pamplona beträgt rund 230 m), so fielen die Höhenunterschiede heute wohl eher so in dem Bereich von 150 m aus, aber mir hat es gereicht. Allein schon die Tatsache, dass ich mit meinem Fahrrad erst jetzt eintreffe, wo die Fußpilger, die heute morgen zusammen mit mir zur selben Zeit aufgebrochen sind, schon längst hier sind, geduscht und umgezogen, sagt wohl so einiges darüber aus, wie körperlich fit ich bin!
Der Campingplatz liegt ca. 2,5 km außerhalb des Ortes. Zunächst radle ich am Ufer des Río Ega entlang. Alles ist hier frisch und grün, denn der Fluss sorgt für ein angenehmes Klima. Immerhin befinde ich mich mittlerweile klimatisch schon in der arideren Zone des mittleren Navarras, eine Landschaft aus Bergketten, Ebenen und Becken, in die ich schon oben vom Perdón-Pass aus Einblicke hatte. Künstliche Bewässerung hat es jedoch in dieser Region möglich gemacht, dass wir es mit einer landwirtschaftlich bedeutenden Zone zu tun haben. Wein und viele Gemüsesorten stellen die wichtigsten Produkte. Nicht umsonst befindet sich hier die traditionelle Konservenindustrie. Vielleicht sind ja die „spanischen Riesen“ ein Begriff, ziemlich große Spargel, und natürlich der rote Paprika, der geröstet und konserviert eine Delikatesse der Region ist. Getreide macht hier ungefähr 20 % der gesamten landwirtschaftlichen Produktion aus.
Ich passiere eine Brauerei, frage mich schon wieder, ob ich mich nicht verfahren habe, und finde den Campingplatz schließlich doch. Ich checke ein und habe auf der sonnigen Wiese freie Platzauswahl. Die Bäume sind noch zu jung, um Schatten zu spenden, sind aber hervorragend geeignet, das Rad daran anzuketten. Eine halbe Stunde später steht das Zelt. Dann gehe ich duschen, um mir Schweiß und Staub des Tages abzuwaschen und schlüpfe gleich in meinen Badeanzug, denn hier gibt es auch einen Swimmingpool. Es paddelt zwar eine ganze Jugendgruppe wild darin herum, aber das hält mich nicht ab. Ich liege auf dem Wasser und lasse mich treiben. So habe ich mir meine Tour schon eher vorgestellt. Schönes Wetter, erfrischendes, kühles Wasser. Das Bad gibt mir neue Energie. Ja, natürlich will ich Estella besichtigen. Ich bleibe noch solange im Swimmingpool, bis mir fast schon wieder ein bisschen kalt wird, ziehe mich dann schnell um und schwinge mich wieder auf mein jetzt nur mit einer leeren Packtasche bepacktes Rad und im Nu habe ich Estella ( Seite 75) erreicht.
Der Ort liegt in einem schmalen Tal, durch das der Río Ega fließt. Im Norden ist das Tal durch den Berg San Millán
Weitere Kostenlose Bücher