Auf den zweiten Blick
die Hand auf seinen Arm, zog sie aber wieder zurück, als er leise knurrte.
Der Jubel und die Pfiffe waren viel zu laut, um die Reporter zu verstehen oder um die Blitzlichter und die laufenden Tonbänder wahrzunehmen. Grinsend und nickend ging Alex neben Melanie her, immer bemüht, so auszusehen, als sei er nicht allzu siegesgewiß, aber trotzdem zuversichtlich.
Direkt vor ihm ging ein Produzent bei Fox, dessen Name Alex nicht einfallen wollte, obwohl ihm der gebückte Gang und der Haaransatz mit den Leberflecken vertraut waren. Er war winzig und bucklig, genau wie seine Frau, und Alex fragte sich, ob wohl das Alter oder einfach eine lange Hollywood-Ehe auf ihren Schultern lastete. Sie stolperten so langsam über den roten Teppich, daß Alex immer wieder neben Melanie stehenbleiben und mit einem idiotischen Grinsen auf dem Gesicht warten mußte. Der Mann drehte sich um und bemerkte erst jetzt, daß Alex hinter ihm stand. Er blieb augenblicklich stehen und streckte ihm die Hand entgegen. Alex schüttelte sie. »Golfbälle«, sagte der Mann. »Wie bitte?«
»Golfbälle. Als ich Ihren Film sah, hatte ich Golfbälle in der Kehle. So hat er mich mitgenommen.« Er hob die Hand und drückte Alex’ Schulter. »Nur die besten der besten heute, wie?«
Alex hatte schon ähnliche Kommentare über Die Geschichte seines Lebens gehört. Jeder hatte einen Vater oder eine Schwester oder einen Freund, dem oder der er sich entfremdet hatte, und Alex’ Film hatte viele ermutigt, endlich Frieden zu schließen. Alex Rivers, der Schlichter aller Schlachten. Der Sultan der Versöhnung. Mit einer einzigen Leiche im Keller: seiner Frau, die er aus dem Haus getrieben hatte.
Während er auf dem roten Teppich wartete, hörte er das Wort »Abräumen«. Er wußte, daß die Menschen darüber sprachen, ob Die Geschichte seines Lebens wohl in allen elf nominierten Kategorien einen Oscar bekommen würde, das goldene Trio »Bester Schauspieler«, »Bester Regisseur« und »Bester Film« eingeschlossen. Abräumen. Abräumen. Abräumen. Das Wort brandete immer wieder an seine Ohren, bis es Alex in einen Tagtraum wiegte, der ihm vorführte, wie alles hätte sein können, wie er sich mit Cassie an seiner Seite gefühlt hätte und was die Reporter gesagt hätten, wenn er sie in seine Arme gezogen hätte und im Walzerschritt den Mittelgang hinuntergetanzt wäre, als würde in dieser Nacht nichts zählen außer ihr.
Sie wohnten inzwischen seit drei Tagen zusammen in dem Einzimmerhaus, so daß man es eigentlich kaum als Rendezvous bezeichnen konnte, aber trotzdem machte es Cassie verlegen, daß sie Cyrus’ altes Hemd und Dorotheas chartreusegrüne Polyesterhose mit elastischem Bund trug. Will klopfte an die Haustür, als würde er nicht vorübergehend hier wohnen. Als Cassie ihm aufmachte, wanderte sein Blick über ihr sauber geflochtenes Haar, die viel zu großen Kleider. »Cassie«, sagte Will, »du bist einfach bildschön.«
»Hör schon auf«, prustete Cassie los. »Ich habe nicht die Spur einer Taille, und außerdem würde ich freiwillig bestimmt nichts in dieser Farbe an meinen Körper lassen.«
Einen Monat nachdem er sie allein gelassen hatte, war Will nach Pine Ridge zurückgekommen. Er hatte seinen Vorgesetzten erklärt, es gebe einen Todesfall in der Familie, und hatte so eine Woche freibekommen. Ihm gefiel die Vorstellung, daß einzig ein Begräbnis ihn dazu bringen konnte, nach Pine Ridge zurückzukehren, aber im Grund wollte er lediglich Cassie zur Oscarverleihung mitnehmen. Der nächste Fernseher stand dreißig Kilometer entfernt in einer Bar, und ihm war klar, daß sie allein auf keinen Fall dorthin kommen würde.
»Und«, fragte sie, während sie sich in Wills gemieteten Pick-up hievte, »was entgeht mir alles in Los Angeles?«
Will zuckte mit den Achseln. »Eine Menge Smog, ein paar sintflutartige Regengüsse, das übliche Hollywood-Getrommel. Du weißt schon.« Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. Sie verstand hoffentlich, daß der letzte Punkt sie nicht einschloß. In letzter Zeit hatte er sich ständig diese dämlichen Klatschreportagen angehört, aber niemand hatte von Cassie Rivers’ Verschwinden berichtet.
Die Baracke hatte kein Schild und keinen Namen, weil sowieso jeder wußte, wo und was es war. Sie war ziemlich gut besucht, weil sie der nächste Fleck außerhalb des trockenen Reservats war, wo man etwas zu trinken bekam, und Will hoffte, daß das keine Probleme machen würde. Er hatte es Cassie nicht erzählt, aber
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