auf der verbotenen Insel
und trug sie vorsichtig hinunter.
Die Katze miaute aufgeregt, aber Anne lief sofort auf Richard zu und nahm sie ihm aus der Hand. »Gib sie mir«, bettelte sie, »du bist so grob! Schau mal, so mußt du sie tragen!«
Anne hatte das Kätzchen in ihre Armbeuge gelegt und streichelte ruhig und zärtlich den Kopf. »Wie das Herz schlägt!« sagte Anne mitfühlend, »bestimmt ist sie sehr aufgeregt.«
Die anderen standen herum und besahen das Kätzchen.
»Eine sehr hübsche Katze«, sagte Julius fachmännisch.
»Ich nehme an, es ist eine Angora-Katze, weil das Fell so weich ist.«
»Quatsch! Keine Angora-Katze! Die sind doch immer so rosa-weiß! Das ist eine Perserkatze, das sieht man doch auf den ersten Blick!« sagte Richard.
»Ich möchte bloß wissen«, meinte Julius nachdenklich, »wie eine so schöne Katze hierher kommt.«
Anne streichelte noch immer das Fell. Plötzlich blickte sie auf. »Sie trägt ein Halsband!« sagte sie aufgeregt, »seht einmal, hier!«
Tatsächlich, ganz verborgen von dem schönen weichen Fell war ein dünnes rotes Halsband mit kleinen goldenen Sternchen darauf zu sehen. »Das sieht aber teuer aus!« staunte Georg. »So etwas würde ich für meinen Tim niemals kaufen können. Ob das echte Goldsternchen sind? Mach das Halsband doch einmal ab.«
Anne fingerte an dem Halsband herum. »Ich muß ja erst einmal die Schließe finden. Oh, ich glaube, da hängt noch: etwas daran. Ja, ein Herzchen aus Leder. So wie es auch der Yorkshire-Terrier von unserer Lehrerin hat. Kannst du dich erinnern, Georg?«
Die Katze ließ es mit sich geschehen, daß man das Halsband abnahm und das kleine Lederherzchen untersuchte.
»Bestimmt«, sagte Georg, »ist ein Zettel darin mit der Adresse des Besitzers. So macht man das.«
Tatsächlich fanden die Kinder einen kleinen, schmutzigen, zehnmal zusammengefalteten Zettel. Aufgeregt strichen sie ihn glatt.
»Was steht da?« fragte Georg. »Ich kann das nicht lesen, das ist ja total verschmiert!«
»Zeig einmal her!« sagte Julius. Er nahm den Zettel in die Hand und studierte ihn lange mit schweigendem Gesicht. Erwartungsvoll sahen ihn die anderen an.
Schließlich hob Julius die Augen. Seine Stimme war ganz rauh, so aufgeregt war er. »Das ist französisch«, sagte er.
»Französisch?« schrien die Kinder wie aus einem Mund.
»Wieso denn französisch, Julius?«
»Glaubst du, daß es etwas mit dem Mädchen zu tun hat, das entführt worden ist?« überlegte Anne.
In der allgemeinen Aufregung merkte niemand, daß das Kätzchen aus Annes Armen gesprungen und im Wald verschwunden war.
»Kannst du es übersetzen?« fragte Georg, die vor Aufregung fieberte. »Übersetz es doch schnell, bitte!«
Julius runzelte die Stirn. »Wenn ich etwas besser aufgepaßt hätte im letzten Semester«, sagte er zerknirscht, »dann ginge es wahrscheinlich schneller. … was heißt denn das hier … cloitre … wenn wir doch bloß ein Wörterbuch hätten … also, ich muß mich jetzt erst einmal hinsetzen und in Ruhe überlegen.«
Konzentriert starrte er auf das Papier mit den hingeschmierten, kaum leserlichen Worten: »Aujour d'hui fa fait déjà trois jours que je suis emprisonnée. J'ai peur. Les hommes sont terribles. Ils parlent toujours de la police. Demain, nous irons dans un cloitre pas loin d,ici.
Oh! J'ai peur! J'espère que quelqu'un trouveras mon petit chat. J'espère que j'ai Sera vite sauvé! Je veux aller chez ma mère et mon père … pourquoi ne viennent-ils pas?« Julius nickte. »Ich glaube, ich hab's«, sagte er schließlich.
»Also: ›Heute sind es schon drei Tage, die ich gefangen bin. Ich habe Angst … die Männer sind schrecklich … sie reden immer von der Polizei … morgen gehen wir in ein Kloster, nicht weit von hier … oh, ich habe Angst! … Ich hoffe, daß jemand meine kleine Katze findet! Ich hoffe, daß ich bald gerettet werde! Ich möchte zu meiner Mama und zu meinem Papa … warum kommen sie nicht? …‹«
»Die Arme!« rief Anne mitfühlend.»Wie schrecklich es sein muß, so gefangen gehalten zu sein! Oh, ich kann mir vorstellen, daß sie Angst hat! Ich wäre ja auch ganz tot vor Angst!«
Georg bekam eine Gänsehaut. »Wahrscheinlich haben sie Gewehre! Und sicherlich werden sie sofort schießen, wenn sie einen Polizisten sehen!«
»Und dann ist die kleine Denise in höchster Gefahr! Oh Gott, was machen wir jetzt? Müssen wir nicht sofort zur Polizei und alles melden?«
Georg runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, ob das klug wäre.
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