Auf doppelter Spur
er scheint uns durchaus frisch und munter zu sein. Offensichtlich hat er sich von all seinen alten Freunden losgesagt, und das ist ziemlich seltsam.«
»Es ist nur sehr bedauerlich«, sagte ich, »dass wir dahin kommen, alles, was andere tun, für verdächtig zu halten.«
»Darin liegt was Wahres«, sagte Colonel Beck. »Manchmal verdächtige ich Sie, Colin, dass Sie auf die andere Seite übergewechselt sind. Manchmal verdächtige ich mich selbst, erst übergelaufen und dann auf diese Seite zurückgekommen zu sein. Alles ein nettes Durcheinander.«
Mein Flugzeug startete um 22 Uhr. Vorher ging ich noch zu Hercule Poirot.
»Sie sehen niedergeschlagen aus«, sagte er.
»Keineswegs, ich will gerade ins Ausland.«
»Viel Erfolg!«
»Danke. Und wie kommen Sie, Poirot, mit Ihren Schularbeiten voran?«
»Pardon?«
»Wie steht es mit dem Crowdean-Uhren-Mord: Haben Sie sich zurückgelehnt, die Augen geschlossen und die Antworten gefunden?«
»Ich habe Ihre Notizen mit großem Interesse gelesen… es war keineswegs nutzlos. Mindestens zwei Personen haben aufschlussreiche Bemerkungen gemacht.«
»Wer? Und was für Bemerkungen?«
Poirot erklärte mir in aufreizender Art, dass ich meine Notizen noch einmal sorgfältig lesen sollte.
»Dann wird es Ihnen ins Auge springen. Jetzt sollten Sie mit weiteren Nachbarn sprechen.«
»Es gibt keine weiteren.«
»Es müssen mehr sein. Jemand muss etwas gesehen haben. Das ist ein Axiom, mein Lieber!«
»Das mag sein, aber nicht in diesem Fall. Übrigens hat es noch einen Mord gegeben.«
»Tatsächlich? So schnell? Das ist interessant. Erzählen Sie!«
Ich tat es, und er quetschte mich so lange aus, bis er auch noch die letzte Einzelheit von mir erfahren hatte. Ich erzählte ihm auch von der Postkarte, die ich Hardcastle gegeben hatte.
»Denk daran – 4.13 Uhr«, wiederholte er. »Ja – genau dasselbe Schema… Auf der Postkarte fehlt nur noch eins: ein blutiger Fingerabdruck.«
Ich sah ihn zweifelnd an. »Was halten Sie wirklich von all dem?«
»Es wird viel klarer – das alte Lied: Der Mörder kann nicht davon lassen.«
»Aber wer ist der Mörder?«
Statt zu antworten, fragte Poirot: »Gestatten Sie, dass ich ein paar Recherchen anstelle, während Sie weg sind?«
»Welche?«
»Morgen werde ich Miss Lemon bitten, einen Brief an einen alten Freund von mir, den Anwalt Mr Enderby, zu schreiben. Ich werde sie außerdem bitten, die standesamtlichen Unterlagen in Somerset House einzusehen. Sie wird auch einige Telegramme nach Übersee schicken müssen.«
»Ich glaube nicht, dass das fair ist«, wandte ich ein. »Sie setzen sich nicht nur hin und denken nach.«
»Genau das tue ich! Miss Lemon soll nur die Bestätigungen für die Antworten beschaffen, die ich bereits gefunden habe. Ich will keine Auskünfte, sondern Bestätigungen.«
»Das ist nur Bluff! Bisher weiß noch niemand, wer der Tote ist – «
»Ich weiß es – nicht den Namen natürlich, der ist unwichtig.
Ich weiß, wenn Sie mir folgen können, nicht wer er ist, sondern wer er ist.«
»Ein Erpresser? Ein Privatdetektiv?«
Poirot öffnete die Augen und rezitierte mal wieder:
»Dilly, dilly, – komm und lass dich töten – weiter sage ich nichts.«
22
I nspektor Hardcastle sah auf den Kalender auf seinem Schreibtisch: 20. September. Zehn Tage waren nun schon vergangen. Sie hatten nicht so große Fortschritte gemacht, wie er gehofft hatte, vor allem hatten sie den Toten immer noch nicht identifizieren können. Trotz aller Bemühungen blieb er ein »geheimnisvoller Mann«. Dennoch hatte Hardcastle das Gefühl, dass ihn kein Geheimnis umgab. Er war nur ein Mann, den bisher niemand erkannt hatte. Hardcastle seufzte, wenn er an all die Anrufe und Briefe dachte, die eingetroffen waren, nachdem das Foto mit der Unterschrift: KENNEN SIE DEN MANN? veröffentlicht worden war. Eine erstaunliche Anzahl Menschen glaubten in ihm einen verloren gegangenen Angehörigen zu erkennen. Unzählige Ehefrauen waren sicher gewesen, dass der Tote ihr vermisster Ehemann war. Und viele behaupteten, ihn in Lincolnshire, Newcastle, Devon, London oder sonst wo gesehen zu haben. Hunderten von den aussichtsreicheren Hinweisen war nachgegangen worden – bisher ohne Erfolg.
Heute war der Inspektor allerdings etwas optimistischer. Er sah wieder auf den Brief vor sich. Merlina Rival. Niemand sollte ein Kind Merlina taufen – wahrscheinlich ein angenommener Name. Doch der Brief gefiel ihm; er besagte nur, dass die Schreiberin es
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